Lücke im Arzneischrank

Zweifel an der MCP-Bewertung

Häufig rezeptierte Metoclopramid-Präparate sind nach einem Bescheid des BfArM nicht mehr verfügbar - sie hinterlassen eine beträchtliche Lücke im medikamentösen Arsenal. Das Bundesinstitut und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sehen Klärungsbedarf.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Als eines von vielen MCP-Präparaten vom Zulassungswiderruf betroffen: Paspertin® mit mehr als einem Milligramm Wirkstoff je Milliliter.

Als eines von vielen MCP-Präparaten vom Zulassungswiderruf betroffen: Paspertin® mit mehr als einem Milligramm Wirkstoff je Milliliter.

© eb

SAARBRÜCKEN. "Abwehr von Gefahren durch Arzneimittel, Stufe II" steht über dem Bescheid, den das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor zwei Wochen an pharmazeutische Unternehmer verschickt hat.

In dem Bescheid gibt das BfArM den Widerruf der Zulassung für den häufig verordneten Wirkstoff Metoclopramid bekannt, und zwar für Arzneimittel, "die ausschließlich den Wirkstoff Metoclopramid enthalten und als flüssige Formulierung zur oralen Anwendung eine Konzentration von mehr als 1 mg/ ml oder als Formulierung zur parenteralen Anwendung eine Konzentration von mehr als 5 mg/ml oder als Formulierung zur rektalen Anwendung eine Dosierung von 20 mg enthalten".

Mit dem Bescheid setzt das BfArM pflichtgemäß einen Beschluss der Europäischen Kommission vom Dezember vergangenen Jahres um. Zwar verschwinden damit nicht alle Metoclopramid (MCP)-haltigen Medikamente vom deutschen Markt, aber zumindest alle Präparate mit Tropflösungen. Denn deren Konzentrationen überschreiten die jetzt zulässige Grenze.

Zudem soll MCP nur noch maximal für fünf Tage verordnet werden. Hintergrund der Änderungen sind unter anderem mögliche ernste neurologische Nebenwirkungen, wie etwa akute extrapyramidale Symptome oder - in einigen Fällen irreversible - tardive Dyskinesien.

Nun ließe sich einwenden, es seien ja noch eine ganze Reihe von MCP-Produkten in anderer Galenik auf dem Markt. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Risikobewertung ist wichtig

"Gestrichen sind auch eine Reihe von Indikationen", betont Professor Daniel Grandt, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Saarbrücken und Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ).

Grandt verweist darauf, dass MCP für Kinder unter einem Jahr nunmehr gänzlich kontraindiziert ist. Auch die Prävention von akuter Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen, gastrointestinale Motilitätsstörungen einschließlich der Gastroparese sowie Refluxkrankheit und Dyspepsie seien aus der Liste der Anwendungsgebiete verschwunden.

Alternative Substanzen sind vorhanden, je nach Indikation kommen Ondansetron, Dexamethason, Domperidon oder auch Diphenhydramin infrage. Ein Blick in die Beipackzettel zeigt freilich, dass auch andere Mittel als MCP nicht ohne mögliche Nebeneffekte wirken.

Grandt betont, wie wichtig Risikobewertung und Pharmakovigilanz noch nach der Zulassung einer Substanz sind. "Das individuelle Erleben der Wirksamkeit ist kein Parameter der Nutzen-Risiko-Abwägung", sagt er. Schon manche Arznei habe prima gewirkt - bis sich seltenere, aber schwerwiegende Nebenwirkungen gezeigt hätten.

Das strukturierte Verfahren auf europäischer Ebene habe zudem den Vorteil, dass Erfahrungen aus verschiedenen Ländern zusammenfließen. Das führe allerdings nicht immer zu einheitlicher Risikobewertung.

Bundesinstitut sieht Klärungsbedarf

Grandt erinnert an das Beispiel Metamizol, das aufgrund des Risikos einer Agranulozytose in einigen europäischen Ländern nicht erhältlich ist, in Deutschland hingegen schon.

Nicht das Verfahren an sich ist es, das Grandt etwas Kopfzerbrechen bereitet, sondern die Frage, ob im Fall von MCP alle Anwendungsbereiche differenziert genug gewürdigt worden sind.

Der Begründungstext spricht von fehlender Wirksamkeit bei Anwendungsgebieten, die eine langfristige Anwendung erfordern, und führt als Beispiel die Behandlung gastrointestinaler Motilitätsstörungen auf.

"Für die langfristige Gabe war die Substanz eigentlich nie geeignet, da die prokinetische Wirkung nur circa zwei Wochen anhält."

Die AkdÄ ist deshalb im Gespräch mit dem BfArM. Auch das Bundesinstitut sieht hier Klärungsbedarf und hat laut Grandt in Aussicht gestellt, auf europäischer Ebene prüfen zu lassen, ob bei der Analyse des Datenmaterials adäquat zwischen kurzfristigem und langzeitigem MCP-Einsatz unterschieden worden ist.

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Kolumne „Aufgerollt“ – No. 30

Gute Drogen, schlechte Drogen

Kommentare
Sebastian Grude 29.04.201420:20 Uhr

Inkompetenz oder Absicht?

Sollten die hier als Kommentare dargestellten Gegenargumente valide sein, kann es sich beim Verbot von MCP wirklich nur um einen Akt der Inkompetenz oder der unlauteren Absicht handeln. Absurd und unmoralisch.

Dr. Thomas Georg Schätzler 26.04.201409:12 Uhr

Herzlichen Dank an Prof. Dr. Harald Schweim und Dr. Peter M. Schweikert-Wehner ...

für Ihre Unterstützung, Ihre wichtigen Ergänzungen und Ihre neuen Argumentationen. Als die kontroverse Diskussion um Metoclopramid (MCP) begann, hatte ich noch den Eindruck, ziemlich allein auf weiter Flur zu stehen. Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Prof. Dr. Harald Schweim 25.04.201415:36 Uhr

Zweierlei Maß ??

Aus meiner Sicht haben die europäischen Pharmakovigilanzverfahren jegliches Augenmaß verloren. Kurzfassung der Begründung: "Die EMA hat das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Metoclopramid neu bewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Risiken des Wirkstoffs, wenn er lange und in hohen Dosen angewendet wird, den Nutzen überwiegen. Hintergrund der Neubewertung war das Bekanntwerden des Risikos für schwere Nebenwirkungen, die das Herz-Kreislauf- und das Nervensystem betreffen. Dieses Risiko steigt mit der Dosis und der Behandlungsdauer." Hochdosierte Langzeitanwendung ist zweifelsfrei Fehlgebrauch. Mit gleicher Begründung könnte man Autos verbieten, weil es Rotlichtsünder gibt, eine "Fehlgebrauch" des PKW. In anderen Fällen ist die EMA merkwürdig blind, Auszug aus einer Pressemeldung: "08.04.2014
Die Pharmakonzerne Takeda und Eli Lilly sind in den USA zu einer Geldbuße von neun Milliarden US-Dollar (6,5 Milliarden Euro) verurteilt worden. Das Bezirksgericht in Lafayette im US-Bundesstaat Louisiana warf beiden Unternehmen vor, Krebsrisiken des Diabetes-Medikaments Actos (Pioglitazon) verschwiegen zu haben.
Außerdem müssen die Hersteller einem Kläger, der nach der Einnahme von Actos an Krebs erkrankt war, 1,5 Milliarden Dollar als Entschädigung zahlen. 2011 hatten die Aufsichtsbehörden in Frankreich, Deutschland und Rumänien vor einem erhöhten Blasenkrebsrisiko gewarnt und sogar erste Schritte eingeleitet, um das Präparat vom Markt zu nehmen.
Danach war die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zu der Bewertung gekommen, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis zumindest bei Patienten, bei denen es keine Behandlungsalternative gibt, positiv ist." Honni soit qui mal y pense, eine häufige deutschsprachige Übersetzung lautet „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“
Metoclopramid, bewährt, aber generisch erhältlich, Pioglitazon, da stehen "Weltkonzerne" dahinter. Und wer ist leidtragen? Dreimal dürfen Sie raten!!

Dr. Peter M. Schweikert-Wehner 25.04.201411:10 Uhr

Künstlicher Engpass

Wir haben genug Ärger mit nicht zur Verfügung stehenden Arzneimitteln. Man hätte besser die Apotheken mittels Standartvorschrift die vorhandenen MCP Tropfen auf 1mg/ml verdünnen lassen, statt die Packungen weg zu schmeißen und sehend in die Mangelkastrophe zu laufen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 25.04.201408:30 Uhr

Lesen der Fachinfos hilft!

Manchmal hilft auch das Lesen der Fachinformationen weiter: Der Kollege Professor Dr. med. Daniel Grandt, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Saarbrücken, immerhin Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), kann doch nicht einfach darauf verweisen, "dass MCP für Kinder unter einem Jahr nunmehr gänzlich kontraindiziert ist."

Dies steht bereits bisher in s ä m t l i c h e n verfügbaren Fachinformationen über Metoclopramid. Ich zitiere:
• "MCP ist bei Säuglingen kontraindiziert" heißt es in den j e t z i g e n, aktuellen Fachinformationen zu MCP-Tabletten mit 10 mg. Und weiter: "Für die Anwendung bei Kindern über 2 bis zu 14 Jahren sind die Filmtabletten aufgrund des hohen Wirkstoffgehaltes nicht geeignet."

• MCP-Tropfen mit 4mg/ml haben eine absolute Kontraindikation bei "Neugeborenen". "Die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen wird nicht empfohlen" heißt es wörtlich in den b i s h e r i g e n Fachinformationen.

• Für MCP-Suppositorien mit 10 mg besteht die Kontraindikation bei "Säuglingen und Kleinkindern bis zu 2 Jahre". Und weiter: "Für die Anwendung bei Kindern über 2 bis zu 14 Jahren sind die Filmtabletten aufgrund des hohen Wirkstoffgehaltes nicht geeignet."

Auch der Verweis: "Alternative Substanzen sind vorhanden, je nach Indikation kommen Ondansetron, Dexamethason, Domperidon oder auch Diphenhydramin infrage", geht fehl. Erstens fehlt bei dieser Aufstellung Dimenhydrinat als Generikum bzw. Vomex® A. Zweitens hat Dexamethason überhaupt k e i n e Indikation für gastrointestinale Motilitätsstörungen und/oder Übelkeit bzw. Erbrechen. Es wird in den bisherigen Fachinformationen unter Punkt 9. "Palliativtherapie maligner Tumoren" aufgeführt. Allerdings unter Inkaufnahme von diabetogenen und anderen endokrinen Nebenwirkungen, Magen-Darm-Ulcerationen, Osteoporose etc.

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe aus scheinbar berufenem Professoren- und Kommissions-Munde seit vielen Jahren nicht mehr so einen Unsinn wie zu MCP gehört!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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