Fazit nach zehn Jahren
Abschreckende Bilanz
Zehn Jahre nach der Privatisierung der Unikliniken Marburg und Gießen fällt die Bilanz eher schlecht aus. Andere Kliniken haben überlegt, nachzuziehen – und sich dagegen entschieden.
Veröffentlicht:MARBURG/GIEßEN. Es war die erste Privatisierung eines Uniklinikums in Deutschland. Nachahmer sind aber auch im zehnten Jahr nicht in Sicht. Die Bilanz der privatisierten mittelhessischen Unikliniken schreckt ab: Zu wenig Rendite, hoch komplizierte Abstimmungen und eine politische Dauerbaustelle. "Ich kenne keinen Standort, der die Privatisierung seines Uniklinikums ernsthaft erwägen würde", sagt Ralf Heyder, Generalsekretär des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands.
Ein Gesinnungswandel: Als die hessische Landesregierung im Jahr 2006 die Unikliniken Gießen und Marburg an den privaten Krankenhausbetreiber Rhön verkaufte, wurde sie noch dafür gefeiert. Tatsächlich schaffte es Rhön, mehr als eine halbe Milliarde Euro zu investieren und – zumindest in den ersten Jahren – Gewinne zu erwirtschaften.
Die Privatisierung schien die große Lösung angesichts des Investitionsstaus vieler Hochschulkrankenhäuser zu sein. Von einem "Leuchtturmprojekt" war die Rede. Politiker von Baden-Württemberg bis nach Schleswig-Holstein dachten darüber nach, ihre Unikliniken in private Hand zu geben.
Wie schwierig es ist
Trotzdem sagt Heyder: "An diesem Beispiel haben alle gesehen, wie schwierig es ist, eine Uniklinik zu privatisieren." Es habe sich nämlich gezeigt, dass der mittelhessische Pilotversuch für Rhön deutlich aufwendiger und weniger ertragreich sei als ursprünglich angenommen: "Universitätsmedizin bringt nicht die Margen, die man in anderen Bereichen des Krankenhausmarktes erzielen kann", so Heyder.
Tatsächlich leidet Rhön ebenso wie andere Unikliniken unter Fallpauschalen, verkürzten Liegezeiten und dem enormen Kostendruck im Gesundheitswesen. 2012 rutschte die Klinik in die roten Zahlen und machte ein Minus von 8,7 Millionen Euro. Seit 2015 ist die Entwicklung wieder positiver.
Aber auch das Land ist unzufrieden. Nicht nur, weil die Geschäftsführer des privatisierten Uniklinikums in den vergangenen zehn Jahren sage und schreibe 20mal wechselten. Das Land war auch davon ausgegangen, dass es nicht mehr in die mittelhessischen Uni-krankenhäuser investieren müsse.
Das funktioniert nun doch nicht. Hessen hat sich mit Rhön auf einen so genannten "Letter of intent" geeinigt, nach dem sich das Land in Zukunft an den Investitionen beteiligen soll.
Vor allem in Marburg ist die Privatisierung bis heute eine politische Dauerbaustelle. Viel positiver ist die Resonanz in Gießen, wo die Ausgangsposition völlig anders war. Vor zehn Jahren gab es einen Investitionsstau von mehr als 100 Millionen Euro. "Unser Klinikum zerbröselte unter meinen Augen", erzählt der heutige Dekan des Gießener Fachbereichs Medizin, Professor Wolfgang Weidner.
Alternative: dicht machen
Das böse Wort "Gießen schließen" habe die Runde gemacht. Tatsächlich bestätigen auch Landespolitiker, dass der Standort wahrscheinlich hätte dicht machen müssen. Deswegen stimmten in Gießen alle knapp 100 Professoren für die Privatisierung. Weidners Fazit: "Für eine medizinische Fakultät, die darbt, kann dies ein richtiger Schritt sein."
Dagegen wurde die Uniklinik Marburg vor zehn Jahren gern in einem Atemzug mit den renommierten Universitätskliniken in Freiburg, Heidelberg und Tübingen genannt. Sie gehörte auch nach Einschätzung des heutigen Geschäftsführers der Universitätsklinik, Dr. Gunther Weiß, zu den "innovativsten, fortschrittlichsten, aber auch wirtschaftlichsten Universitätskliniken" Deutschlands.
Es wurden schwarze Zahlen geschrieben. Allerdings verfügte der damalige Ministerpräsident Roland Koch (CDU), dass Gießen nur mit Marburg zusammen verkauft werden dürfe. Fusion und Privatisierung kamen, so Weiß, "wie ein Unwetter über Marburg".
Demonstrationen, Flashmobs, Montagsgebete und Proteste gingen fast immer von Marburg aus. Dort häuften sich die Berichte von unzufriedenen Patienten. Niedergelassene Ärzte und Bürger gründeten die privatisierungskritische Initiative "Notruf 113", die Rhön mangelhafte Krankenversorgung vorwirft. Schließlich hat sich auch die finanzielle Situation gedreht.
Lohnt sich das wirklich?
In Gießen, wo das marode alte Klinikum fast komplett neu gebaut wurde, gibt es nun mehr Einnahmen als in Marburg. Dennoch fragt man sich auch bei Rhön hinter vorgehaltener Hand: Lohnt es sich wirklich, sich als privates Unternehmen so viele Konflikte ans Bein zu binden?
Über eine Privatisierung von Uni-Kliniken diskutiert wurde auch in Mainz, im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und vor allem in Schleswig-Holstein, wo die medizinische Fakultät von Lübeck auf der Kippe stand. Allerdings hatte das 2003 fusionierte Uni-Klinikum Schleswig-Holstein mit seinen Standorten in Kiel und Lübeck nicht nur einen riesigen Investitionsstau, sondern auch mehr als 100 Millionen Euro Schulden.
Dadurch wurde nach einer Untersuchung schnell klar, dass sich dieser Weg für das Land gar nicht lohnen würde. Kosten und Nutzen standen, so das Ministerium, in keiner akzeptablen Relation. Wahrscheinlich wäre das Geschäft sogar defizitär geworden. Inzwischen plant Schleswig-Holstein, mehr als eine Milliarde Euro in seine Kliniken zu investieren.
Gemeinsam mit weiteren Bundesländern setzt sich der Norden im Bundesrat für eine bessere Finanzierung der Hochschulkliniken in Deutschland ein. Schließlich seien zwei Drittel aller Uni-Krankenhäuser in Deutschland defizitär.