EGMR-Urteil
Abtreibungsgegner darf Ärzte nicht als Mörder bezeichnen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einem katholischen Abtreibungsgegner die Grenzen aufgezeigt. Dieser hatte Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, als "Mörder" bezeichnet.
Veröffentlicht:STRAßBURG. Der katholische Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen darf Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, nicht als "Mörder" bezeichnen. Entsprechende Unterlassungsverfügungen deutscher Gerichte sind rechtmäßig und verletzen Annen nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Donnerstag in Straßburg.
Annen gehört zu den profiliertesten Abtreibungsgegnern in Deutschland. Er betreibt eine Homepage, auf der er Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust vergleicht. Zuletzt hatte er mehrere Hundert Ärztinnen und Ärzte wegen "Werbung" für den Schwangerschaftsabbruch angezeigt.
Auf seiner Homepage stand früher: "Pervertierte Ärzte ermorden im Auftrag der Mütter die ungeborenen Kinder." Und: "Beten Sie (…) für die Mediziner (…), welche den MORD der Abtreibungstötung selbst vornehmen" (Hervorhebung im Original).
Vor dem Landgericht Karlsruhe erwirkte im Februar 2007 ein Arzt hiergegen eine Unterlassungsverfügung. Das Wort Mord werde gemeinhin als schwere Straftat verstanden; ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenlösung sei aber nicht strafbar.
Abtreibungsgegner stellt Ärzte an den Pranger
Die Rechtslage in Deutschland wird gemeinhin so verstanden, dass Schwangerschaftsabbrüche zwar generell unzulässig sind, im Rahmen der Fristenlösung aber dennoch nicht unter Strafe stehen.
Annen hatte 2005 einem anderen Arzt in einem Flugblatt "rechtswidrige Abtreibungen" vorgeworfen, "die aber der deutsche Gesetzgeber erlaubt und nicht unter Strafe stellt". 2015 hatte der EGMR entschieden, dass dies von der Meinungsfreiheit gedeckt war.
Nun rügten die Straßburger Richter, Annen habe diese Differenzierungen nicht gemacht. Stattdessen richte er "schwere Strafvorwürfe" gegen die Ärzte. Zulässig hätten die deutschen Gerichte daher das Persönlichkeitsrecht des Arztes schwerer gewichtet als die Meinungsfreiheit Annens.
In einem weiteren Fall rügte der EGMR, Annen habe mit einer Flugblattaktion vor der Praxis gezielt einen einzelnen Arzt an den Pranger gestellt, auch um das Vertrauensverhältnis zu den Patientinnen zu beeinträchtigen.
Der letzte Fall war der einzige, in dem das Landgericht Karlsruhe neben einer Unterlassungsverfügung dem klagenden Arzt auch Schadenersatz zugesprochen hatte: 10.000 Euro. Dabei geht es um Aussagen, die früher von Annens Internetseite aus durch ein oder owei Links zu erreichen waren. Darunter: "Den Babycaust mit dem Holocaust gleichzusetzen würde bedeuten, die heutigen Abtreibungsmorde zu relativieren."
Dies untergrabe ernsthaft die Reputation der auf der Seite genannten Ärzte, befand der EGMR. Neben der Unterlassungsverfügung sei daher auch der Schadenersatz angemessen, so die Richter. (mwo)
Europäischer Gerichtshof:
Az.: 3682/10, 3687/10, 9765/10 und 70693/11
Lesen Sie dazu auch: Abtreibung: Verwirrung und politischer Streit um Paragraf 219a