Digitale Medizin
Ärzte müssen sich an die Spitze setzen
Das Internet verändert den Alltag. Das gilt auch für das Arzt-Patienten-Verhältnis. Wer sich die neuen Medien erschließt, wird belohnt. Und er verhindert, dass Google & Co. das Ruder übernehmen.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Trend zum Internet verändert das Arzt-Patienten-Verhältnis: Etwa 65 Prozent der Patienten konsultieren heute vor dem Arztbesuch das Internet.
Jeder zweite will online mit seinem Arzt in Kontakt treten, jeder dritte seine Gesundheit gerne online organisieren - unabhängig vom Alter.
Diese Zahlen aus aktuellen Studien wurden am Wochenende in Berlin diskutiert, beim Kongress "Apple, Google & Co: Wie die zunehmende Digitalisierung Ihren Praxisalltag verändern wird" von Springer Medizin und Berlin Chemie.
Der Hausarzt und ehemalige KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller aus Trier kann die Zahlen zur Internet-Nutzung von Patienten aus Erfahrung bestätigen. Etwa ein Viertel seiner Patienten seien mittlerweile "Co-Therapeuten", die eigenes Wissen diskutieren wollten, schätzt er.
Dies koste einerseits Zeit, andererseits sei es zu begrüßen, weil Qualität und gute Dokumentation eingefordert und öfter Zweitmeinungen eingeholt würden.
Müller plädierte dafür, das Internet im Praxisalltag aktiv zu nutzen. Dabei stellen sich aber noch Fragen. So fällt es schwer, bei der großen Zahl an Webseiten und Apps den Überblick zu behalten.
Die Bundestagsabgeordnete Karin Maag (CDU) brachte den Innovationsfonds als Vehikel für mehr Transparenz ins Spiel: "Die Krankenkassen könnten im Rahmen des Fonds Start-ups an die Hand nehmen und ein Zertifizierungssystem entwickeln."
Ruf nach Beratungsziffern
Mehr zum BCC-Kongress
"Apple, Google & Co: Wie die zunehmende Digitalisierung Ihren Praxisalltag verändern wird" - unter diesem Motto stand ein Kongress von Springer Medizin und Berlin Chemie am 26./27. Juni im BCC in Berlin.
Zu den Berichten über den BCC- Kongress
Diskutiert wurde in Berlin auch der Zeitaufwand für die Kommunikation. Viele Ärzte fürchten, dass dieser zunimmt. "Das geht nicht ohne Honorar. Wir brauchen eine Beratungsziffer, die das abdeckt", so Müller.
Andererseits lässt sich mit Hilfe des Internets vielleicht sogar Zeit sparen: Wer gezielt hochwertige Internetseiten empfiehlt, kann dem Patienten quasi Hausaufgaben geben und die Sprechstunde zeitlich entlasten.
Professor Manfred Schedlowski von der Universität Essen plädierte dennoch für ein neues Honorierungssystem, das die sprechende Medizin stärker belohnt.
Darauf zu warten, sei aber auch keine Lösung, sagte der Kinderarzt und Start-up-Coach Dr. Markus Müschenich. Er wies auf Apple, Google und IBM hin, die ihr Medizin-Engagement massiv aufstocken.
Ob die Konzerne auch in Europa einflussreich werden, ist noch nicht ausgemacht. Viel hängt davon ab, ob glaubwürdige und nutzerfreundliche Gegenmodelle etabliert werden können.
Dazu sei es höchste Zeit, so Müschenich: "Wir müssen die IT als Werkzeug nutzen. Das sind wir dem Hippokratischen Eid schuldig. Wenn wir uns nicht an die Spitze der Bewegung setzen, tun es andere."