"Schwangerschaftsabbruch"
Ärztin soll für ein Wort zahlen
Sachliche Information oder anpreisende Werbung? Beim Amtsgericht Gießen ist das offenbar ein und dasselbe.
Veröffentlicht:GIEßEN. Die Allgemeinärztin Kristina Hänel ist am Freitag zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt worden, Das Amtsgericht Gießen befand die Ärztin schuldig, für einen Schwangerschaftsabbruch geworben zu haben. Das ist seit 1933 in Deutschland verboten. Hänels Anwältin kündigte bereits im Gerichtssaal an, Berufung gegen das Urteil einlegen zu wollen.
Die in der Gießener Innenstadt niedergelassene Hausärztin führt auf ihrer Praxiswebsite unter der Rubrik "Spektrum" auch "Frauengesundheit" mit dem Unterpunkt "Schwangerschaftsabbruch" auf. Klickt man das Wort an, öffnet sich ein neues Fenster, in dem "Informationen zum Schwangerschaftsabbruch" angeboten werden, wenn der User seine Mail-Adresse eingibt. Diese Informationen soll es auf deutsch, englisch oder türkisch geben.
Der Amtsrichterin reichte das aus, um der Anklage zu folgen und den Straftatbestand der "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" (§ 219a StGB) als erfüllt anzusehen. Der Paragraf geht zurück auf den § 219, der im Mai 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch aufgenommen wurde. "Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache", begründete die Richterin ihr Urteil.
Hänels Verteidigerin hatte argumentiert, ihre Mandantin informiere lediglich, stelle aber keine "appellative Werbung" auf ihre Website. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Richterin den Unterschied von Information und Werbung nicht kennt", kommentierte sie unmittelbar nach der Urteilsverkündung. Neutral zu informieren sei Teil der ärztlichen Berufsausübungsfreiheit und eine Letztentscheidung der Frau "ohne Informationsfreiheit gar nicht denkbar".
Zum Prozesstermin am Freitag waren rund 400 Leute im Gerichtsgebäude erschienen, die Unterstützungsreden für die Ärztin bejubelten. Abtreibungsgegner, die Hänel angezeigt hatten, fielen zunächst nicht auf. Tags zuvor hatten bereits der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) und der Deutsche Juristinnenbund (djb) in einer gemeinsamen Mitteilung die Abschaffung des § 219a gefordert. "Der Schangerschaftsabbruch ist eine medizinische Dienstleistung für Frauen in einer Notlage. Darüber müssen Ärztinnen und Ärzte öffentlich sachlich informieren dürfen, ohne sich der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt zu sehen", so djb-Präsidentin Professor Maria Wersig.
Solidarität bekundete auch das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. Der Paragraf 219a konterkariere die freie Arztwahlwahl und bringe Ärztinnen und Ärzte, "die eine Pflicht zur medizinischen Versorgung und damit verbunden Aufklärung haben, vor Gericht".
Hänel hat eine Petition zur Abschaffung des § 219a gestartet und bis Freitag abend 120.000 Unterschriften gesammelt. (mit dpa-Material)
So steht es im Gesetz
§ 219a Strafgesetzbuch: "Wer öffentlich (...) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs (...) anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."