Medizinstudium

Arbeitserfahrung über Einser-Abi!

Medizinstudienplätze sollten häufiger nicht nur an Einser-Abiturienten vergeben werden, sondern auch an Bewerber, die bereits in der Krankenpflege oder als Rettungsassistenten gearbeitet haben. Denn sie wissen genau, was auf sie zukommt.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Uni Halle: Diese Studenten haben bereits einen der begehrten Medizinstudienplätze ergattert.

Uni Halle: Diese Studenten haben bereits einen der begehrten Medizinstudienplätze ergattert.

© Grubitzsch /dpa

MÜNSTER. Wenn Ärzte über den drohenden Nachwuchsmangel reden, sind zwei Ursachen schnell genannt: die zu geringe Zahl an Studienplätzen an den Universitäten und die Auswahl der Medizinstudierenden über den Numerus Clausus.

Wo immer er kann, plädiert der 2. Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dr. Gerhard Nordmann, vehement für geänderte Zugangsbedingungen zum Studium und die Abkehr von der Fokussierung auf die Abiturnote. "Vielen potenziell hervorragenden Hausärzten wird sonst der Zugang zum Beruf verbaut", kritisiert Nordmann.

Auch der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. Theodor Windhorst, sieht dringenden Handlungsbedarf. Zwar solle das Abitur Basis für das Studium bleiben, die Note aber weniger Gewicht bekommen. "Soziales Engagement und bereits abgeschlossene Ausbildungen in Medizinberufen müssen in einem neuen Kriterienkatalog stärker berücksichtigt werden", fordert er.

Schwierige Suche nach alternativen Verfahren

Mit ihrer Kritik am aktuellen System werden Nordmann und Windhorst bei vielen Studierenden, aber auch Experten im Gesundheitswesen offene Türen einrennen. Denn es liegt auf der Hand, dass ein junger Mann oder eine junge Frau, die ihr Abitur mit 1,0 oder sogar noch besser gemacht haben, nicht automatisch gute Ärzte sein werden.

Schwieriger wird es, wenn es um gerichtsfeste Alternativen zum ungeliebten Numerus Clausus geht. Windhorst sieht hier die Hochschulen in der Pflicht. Sie müssten die Möglichkeit stärker nutzen, die Studierenden selbst auszuwählen.

"Es ist wünschenswert, dass sich die Universitäten dieser Verantwortung stellen und dabei den Aufwand für erweiterte Auswahlgespräche als Chance nutzen, um Studierende auszuwählen, die nach ihrer Ausbildung tatsächlich in der Patientenversorgung arbeiten, statt nach dem Studium sofort in alternative Berufsfelder oder ins Ausland abzuwandern", argumentiert der ÄKWL-Präsident.

Das Problem: Es gibt kein Patentrezept dafür, wie die Universitäten unter der riesengroßen Zahl an Bewerbern für das Medizinstudium diejenigen herausfiltern können, die später einmal gute Ärzte werden - wenn man sich denn erst einmal darüber verständigt hat, was überhaupt einen guten Arzt ausmacht.

16-Jähriger in der Beratung

Beim 8. Westfälischen Ärztetag in Münster hat Professor Thorsten Schäfer, Studiendekan an der Medizinischen Fakultät an der Ruhr-Universität Bochum, das Problem verdeutlicht. In der Beratung zum Medizinstudium hatte er jüngst einen 16-Jährigen, der das Abitur im G8-Verfahren gemacht und zwei Klassen übersprungen hat.

Wie soll er den Jungen zu diesem Zeitpunkt überhaupt beurteilen?, fragt Schäfer. "Welche Instrumente haben wir, verlässlich eine Beurteilung vorzunehmen, ob man jemand auf die Menschheit loslassen kann?"

Die Universität Witten/Herdecke hat diese Frage für sich selbst beantwortet. Dort achten die Zuständigen auf die kognitiven und persönlichen Fähigkeiten der Bewerber, berichtet Studiendekan Dr. Marzellus Hofmann.

Das Ziel der Privatuni: die Entwicklung einer handlungsfähigen und lebenslang lernfähigen Arztpersönlichkeit. Er gibt zu, dass das Auswahlverfahren in Witten/Herdecke, mit dem 42 Studierende aus 1000 Bewerbern ermittelt werden, sehr aufwändig ist. Auf alle medizinischen Fakultäten der Republik lässt es sich wohl kaum übertragen.

Selbst wenn es Verfahren geben sollte, die Menschen mit Empathie und anderen für Ärzte wichtigen Eigenschaften herausfiltern können: Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass es nicht sehr lange dauern wird, bis Interessenten in wahrscheinlich teuren Trainings lernen, wie sie bei solchen Tests gut abschneiden.

Mehr Studienplätze, das rechnet sich

Es gibt eine Gruppe von Bewerbern um Medizin-Studienplätze, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie für den Arztberuf geeignet sind: Junge Männer und Frauen, die bereits eine Ausbildung als Krankenschwester, Rettungsassistent oder Vergleichbares gemacht haben.

Diese Menschen haben einen Einblick in das bekommen, was als Ärztinnen und Ärzte auf sie zukommt. Wenn sie die erneute immerhin zwölfjährige Ausbildungszeit bewusst in Kauf nehmen wollen, sollte man ihnen auch die Chance geben. Mutet man den Interessenten dagegen weiter die volle Wartezeit von sieben Jahren zu, werfen viele in der Zwischenzeit die Flinte ins Korn.

So geht ein großes Potenzial verloren.

Zudem muss die Politik über eine Erhöhung der Zahl der Studienplätze nachdenken. Die bisherige Zurückhaltung ist angesichts der hohen Kosten des Medizinstudiums zwar verständlich. Wenn durch die höheren Kapazitäten aber mehr Kandidaten zum Zug kommen, die sich später wirklich in der Patientenversorgung engagieren, ist das Geld gut angelegt.

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