Medizinischer Fakultätentag
Auch Unikliniken stehen viele Veränderungen bevor
Wenn immer mehr Leistungen ambulant erbracht werden sollen, müssen auch die Universitätskliniken ihre Strukturen reformieren, sagt die erfahrene Krankenhausmanagerin Irmtraut Gürkan.
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Unikliniken sollten sich unbedingt mit den ambulanten Versorgungsstrukturen auseinandersetzen, auch wenn sie nicht das nicht das Geld bringen, das man im stationären Sektor verdient: Irmtraut Gürkan, Mitglied der Regierungskommission zur Reform der Krankenhausfinanzierung.
© Metodi Popow / SZ Photo / picture alliance
Jena. Den Universitätskrankenhäusern stehen im Zusammenhang mit der Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) starke Veränderungen bevor. „In den kommenden zehn Jahren stehen erhebliche Disruptionen vor uns!“, erklärte die Volkswirtin Irmtraut Gürkan, die auch Mitglied der Regierungskommission zur Reform der Krankenhausfinanzierung ist, in der vergangenen Woche auf dem 84. ordentlichen Medizinischen Fakultätentag (oMFT) in Jena.
Dies gelte zum Beispiel für die Ambulantisierung von Krankenhausleistungen. Hier müssten die Krankenhäuser in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen. „Denn Patienten wollen, wenn die Qualität stimmt, ambulant behandelt werden“, sagte Gürkan. „Das heißt, wir müssen auch als Universitätskliniken auf jeden Fall mehr ambulant machen.“ Schließlich stehe Deutschland beim Ambulantisierungspotential an der Spitze: Es zähle unter 17 OECD-Staaten noch 23,5 Krankenhausfälle je 100 Einwohner, so der Krankenhaus Rating Report 2018. Dänemark hingegen liegt mit 13,1 Fällen um deutliche 40 Prozent darunter, die Niederlande liegen sogar nur bei 9,6 Prozent und schneidet damit in Hinblick auf die Ambulantisierung am besten ab.“
Unikliniken sollten MVZ gründen
Gürkan kann sich auch ein deutlich größeres Engagement der Unikliniken bei Kooperationen mit Level Ii-Krankenhäusern und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) vorstellen, um die ambulante Medizin zu stärken. „Lokale und regionale Versorgungsnetzwerke der Krankenhäuser sind schon heute eine win-win-Beziehung“, sagte Gürkan. Die Krankenhäuser hätten während der Corona-Krise bewiesen, dass sie die Versorgung steuern und koordinieren können. So war schnell entschieden, welcher Patient welches Krankenhaus braucht. So eine Steuerung könne man sich zum Beispiel auch bei Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen vorstellen, meint Gürkan. Oder die Uniklinika könnten Ihre Kolleginnen und Kollegen in kleineren Häusern oder MVZ per Telemedizin beraten. Auch Unikliniken sollten da, wo es sich anbietet, MVZ gründen, meint Gürkan. Jedenfalls würden niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihre Praxis lieber etwa an ein Universitätskrankenhaus verkaufen als an eine Investorengruppe. „Es ist eine Pflicht, dass man dieses Geschäft nicht den Privatinvestoren überlässt!“, meint Gürkan. Unikliniken sollten sich also unbedingt mit den ambulanten Versorgungsstrukturen auseinandersetzen, „auch wenn sie nicht das nicht das Geld bringen, das man im stationären Sektor verdient.“
Aus für Hybrid-DRG als Warnsignal
Wie schwer die neuen Schritte sein werden, zeigt zum Beispiel das vorläufige Aus der Hybrid-DRGs, die in gleicher Höhe für die gleiche Prozedur ambulant und stationär gezahlt werden soll. Sie sollte die ambulante Versorgung stärken. Es scheint aber noch viel zu ungeklärt zu sein, ob die Strukturen in Praxis und Klinik wirklich über eine gemeinsame DRG abbildbar ist. Die Kosten von medizinischen Fachangestellten und Krankenschwestern gehen zu weit auseinander. Sehr unterschiedlich auch die Investitionen. Die Praxen müssen sie selber tätigen, die Krankenhäuser erhalten sie vom jeweiligen Bundesland – wenn sie sie erhalten! Bei den Hybrid-DRGs konnten sich die Stakeholder nicht einigen. Die Folge: Die Einführung der Hybrid-DRGs wird über eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) geregelt werden.
Was die Finanzierung der Krankenhausreform angeht, liegt noch vieles Im Dunkeln. Die Vorhaltekosten sollen durch Abstriche bei den DRG-Leistungen finanziert werden. Das Geld wird also nicht aufgestockt, sondern umverteilt. Ob die Vorhaltepauschale aber 40 Prozent oder 60 Prozent der Versorgungskosten ausmachen werden, ist noch unklar, erklärte Gürkan. Klar indessen ist, dass die Kliniken mehr Geld brauchen für die Investitionen und den Umbau der Häuser, wenn die Reform es fordert. Dazu könnte ein Strukturfonds geschaffen werden, das wüschen sich jedenfalls die Stakeholder, mit womöglich 30 bis 40 Milliarden Euro. Beschlossen ist hier allerdings gar nichts, betonte Gürkan.
Kliniken brauchen hohe Entscheidungsgeschwindigkeit
Die Krankenhäuser wünschen sich auch ein Vorschaltegesetz, um ihre gewaltige Defizite im laufenden Geschäft abzufedern. „Noch ist auch hier nichts entschieden, und es gibt keine Verbindlichkeit“, so Gürkan. Immerhin floss Geld aus Berlin, um die ins Kraut geschossenen Energiekosten aufzufangen – auch auf die Gefahr hin, dass mit den Geldspritzen Häuser am Netz gehalten würden, die schon vorher in Schwierigkeiten gewesen seien. So würden womöglich Häuser nach Ende der Unterstützung ungesteuert schließen müssen, indem sie in die Insolvenz gehen.
Die Krankenhäuser brauchten in den kommenden Jahren also „eine erhebliche Veränderungsbereitschaft und hohe Entscheidungsgeschwindigkeit“, sagte Gürkan. In der anstehenden Reform lasse sich allerdings nicht alles mit Geld lösen. Die größten Treiber der Probleme seien der demographische Wandel und der Personalmangel. „Beides wird den Krankenhäusern gar nichts anders übriglassen, als sich mit dem Wandel auseinanderzusetzen. (cben)