Leitartikel
BSG lässt Fragen zum Regress offen
Im Rahmen einer Richtgrößenprüfung ist eine "Beratung" die Vorstufe zum Regress. Daher ist eine Klage zulässig, urteilte das Bundessozialgericht. Der neue Grundsatz "Beratung vor Regress" lässt aber noch viele Fragen offen.
Veröffentlicht:Beratung - das klingt gut. Sei es das Finanzamt, eine Sozialbehörde oder die Bauverwaltung - üblicherweise können sich Bürger rechtlich nicht gegen die Beratung durch eine Behörde wehren.
Bei der "Beratung" durch die KV im Rahmen einer Richtgrößenprüfung liegt die Sache allerdings anders, urteilte jetzt das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.
Seit zum Jahresbeginn 2012 der "Vorrang der Beratung" eingeführt wurde, ist die Schwelle zum Regress zwar gesunken, der Druck für die Ärzte aber trotzdem nicht gemildert.
Danach erfolgt, bei einer "erstmaligen" Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 15 Prozent (statt bislang 25) zunächst eine individuelle Beratung - im Regelfall schriftlich.
Und deren Vorrang ist nun eindeutig geregelt: "Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden."
Zahlreiche Fragen sind damit noch verbunden, eine davon hat das BSG nun geklärt: Ärzte können schon gegen die "Beratung" klagen.
Sachsens KV-Chef hat Urteil erstritten
Erstritten hat dies eine allgemeinmedizinische Gemeinschaftspraxis in Dresden. Inhaber: Der Chef der KV Sachsen, Klaus Heckemann, und seine Ehefrau Burgis-Michaele Heckemann. Ihre Praxis hatte die Arzneiverordnungs-Richtgröße 2006 um 25,92 Prozent überschritten.
Der Prüfungsausschuss setzte daher einen Regress in Höhe von 2.800 Euro fest, der Beschwerdeausschuss wandelte diesen in eine "Beratung" um.
Auch dagegen klagte die Heckemannsche Gemeinschaftspraxis: Die Überschreitung sei durch die Betreuung von Heimpatienten bedingt. Wie schon beim Sozialgericht Dresden, blieb die Klage nun auch vor dem BSG ohne Erfolg. Immerhin war sie aber zulässig, urteilte das BSG.
Zwar müssten Bürger gute Ratschläge einer Behörde üblicherweise hinnehmen. Hier sei die Beratung aber mehr als ein guter Rat; sie sei letztlich eine Vorstufe zum Regress.
Eine Klage müsse daher möglich sein. Streitigkeiten - etwa um Praxisbesonderheiten - könnten so gegebenenfalls schon ausgetragen werden, ehe es zu einem Regress kommt.
Zahlreiche weitere Fragen zum Thema Beratung bleiben aber zunächst offen: Was ist, wenn das Sozialgericht die "Beratung" verwirft, sie vor dem Landes- oder gar erst vor dem Bundessozialgericht dann aber doch Bestand hat? Wäre ein zwischenzeitlich festgesetzter Regress gültig?
Und was ist mit schwarzen Schafen? Ärzte könnten die Neuregelung ausnutzen und eine Richtgrößenüberschreitung gezielt hinnehmen, weil sie wissen, dass ein Regress erst nach der "Beratung" möglich und damit zumindest zwei Quartale lang ausgeschlossen ist.
Es wäre naheliegend, wenn Gerichte zumindest bei nachgewiesenem Missbrauch eine Ausnahme vom Grundsatz "kein Regress ohne vorherige Beratung" machen. Entschieden ist dies aber noch nicht. Und fraglich wäre ohnehin, ob und wie ein solcher Missbrauch bewiesen werden kann.
Gilt die Regelung auch für Altfälle?
Weiter stellt sich die Frage, ob die Neuregelung auch für Altfälle gilt. Hierzu hat das Sozialgericht Düsseldorf in zwei kürzlich veröffentlichten Urteilen entschieden, dass der Grundsatz "Beratung vor Regress" für alle Fälle gilt, in denen das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen war; das sind also alle Fälle, in denen bis Ende 2011 noch kein Bescheid des Beschwerdeausschusses ergangen war.
Wenn das Verfahren nur wegen einer anschließenden Klage noch offen ist, können sich danach Ärzte in Altfällen noch nicht auf den Grundsatz "Beratung vor Regress" berufen.
Konkret würde danach eine Allgemeinärztin Regressforderungen über insgesamt 57.000 Euro wegen Überschreitung der Heilmittel- und der Arzneimittel-Richtgrößen im Jahr 2009 entgehen.
Zur Begründung stützen sich die Düsseldorfer Richter auf den Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe.Ob dies in den oberen Instanzen Bestand haben wird, ist aber noch offen.
Ärzte, die noch einen alten Regress-Streit offen haben, sollten daher zumindest ein Ruhen des Verfahrens anstreben, bis die Sache abschließend geklärt ist.
Für die Zukunft ist nun immerhin klar, dass Ärzte schon gegen eine "Beratung" klagen können. Besonders groß ist dabei aber die Unsicherheit, wenn die Klage in erster Instanz Erfolg hat.
Denn bis auf Weiteres bleibt offen, ob ein trotzdem festgesetzter Regress wirksam wird, wenn die Obergerichte gegenläufig entscheiden.
Bundessozialgericht, Az.: B 6 KA 40/12 R Sozialgericht Düsseldorf, Az.: S 2 KA 394/12 (Heilmittel) und S 2 KA 395/12 (Arzneimittel)