Radiologen-Urteile des Bundessozialgerichts
BSG schützt Wachstum für in Einzelpraxis angestellte Jungärzte
Für den in seiner Praxis angestellten Arzt eines frisch niedergelassenen alten Radiologen verpflichtete das BSG die KV, ihm ein Individualbudget in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zuzuweisen.
Veröffentlicht:Kassel. Auch neue Einzelpraxen können für angestellte Jungärzte anteilig ein Wachstum bis zum Gruppendurchschnitt beanspruchen. Das hat der Vertragsarztsenat des Bundessozialgerichts (BSG) am Mittwoch in Kassel entschieden. Unter Hinweis auf die Honorarverteilungsgerechtigkeit übertrug er damit seine entsprechende Rechtsprechung zu Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und MVZ. Damit war ein seit 2006 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Radiologe aus Hamburg teilweise erfolgreich. Er war früher in einer radiologischen BAG tätig, hatte diese aber zum Jahresende 2013 verlassen. Zum 1. Januar 2014 gründete er in etwa zehn Kilometern Entfernung eine Einzelpraxis und stellte einen weiteren Arzt ein, der zuvor noch nicht in der vertragsärztlichen Versorgung tätig war.
Umstritten war nun das Budget für das erste Quartal der neuen Praxis. Nach bisheriger Rechtsprechung haben Jungärzte drei Jahre lang Zeit, um zumindest auf den Fachgruppendurchschnitt zu wachsen. Die KVen müssen ihnen daher ein entsprechendes Individualbudget zuweisen. Für ein MVZ oder eine BAG kommt hinzu, dass gleichzeitig auch diese neu gegründet sein muss. Was für eine Einzelpraxis mit angestelltem Arzt gilt, hatte das BSG bislang noch nicht entschieden. Die KV Hamburg war der Ansicht, dass der Radiologe ein alter Hase sei. Obwohl er bislang unterdurchschnittlich abgerechnet hatte, könne er daher keinen Wachstumsschutz beanspruchen. Der Angestellte Arzt sei quasi „ein Annex“ zum Praxischef, weshalb für ihn die Wachstumsregeln für Jungärzte nicht gelten würden. Das BSG folgte dem nur hinsichtlich des Praxischefs. Dieser sei schließlich „seit vielen Jahren vertragsärztlich tätig“. Für den angestellten Arzt verpflichtete das BSG die KV aber, ihm ein Individualbudget in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zuzuweisen. Für einen angestellten Arzt einer Einzelpraxis könne nichts anderes gelten als bei einem MVZ oder einer BAG. Die bislang gegenteilige Praxis der KV Hamburg widerspreche der Honorarverteilungsgerechtigkeit.
Übergangsregelung zur „Verlustbegrenzung“
Zuvor hatte der BSG-Vertragsarztsenat zu den Wachstumsmöglichkeiten eines zum Jahresbeginn 2015 gegründeten radiologischen MVZ verhandelt. Hinsichtlich der Jungärzte hatten die Kasseler Richter auch hier auf die im Folgeverfahren auf Einzelpraxen übertragene Rechtsprechung verwiesen. In einem Vergleich verpflichtete sich die KV daher, die Honorare entsprechend nachzuzahlen. Streitig war zudem eine Regelung zur „Verlustbegrenzung“ anlässlich einer Systemumstellung bei den RLV zum Quartal IV/2013. Diese sollte abrupte Honorarsprünge abfedern. Die Vertreterversammlung der KV Hamburg hatte dies entsprechend in den HVM aufgenommen, die Finanzierung dabei aber dem KV-Vorstand überlassen. Der entschied sich als Gegenstück zur „Verlustbegrenzung“ für eine Art Gewinnbegrenzung.
Während der Verhandlung monierten die Kasseler Richter ein Demokratiedefizit, weil die Vertreterversammlung nicht auch über die Finanzierung der Verslustbegrenzung entschieden hatte. Dies muss sie nun nachholen, sofern die KV die zahlreichen noch anhängigen Verfahren nicht anderweitig vom Tisch bekommt. Im konkreten Fall gab es auch hierzu einen Vergleich. Danach zahlt die KV den halben Honorarverlust nach, der durch die zur Gewinnbegrenzung gewordene Verlustbegrenzung entstanden ist.
Vergleichsangebote für die anderen noch anhängigen Fälle könnten bei kleinen Jungpraxen durch einen Konstruktionsfehler der Gewinnbegrenzung erschwert werden. Denn die Regelung griff nicht nur für das durch die Systemumstellung induzierte Wachstum, sondern schlug auch auf das Wachstum von Jungärzten und -praxen durch. Im konkreten Fall spielte dies aber keine Rolle.
Bundessozialgericht, Az.: B 6 KA 22/22 R (Wachstum Einzelpraxis mit angestelltem Arzt) und B 6 KA 21/22 R (Vergleich „Verlustbegrenzung“)