Gesundheitstelematik
Deutschland hinkt hinterher
Quo vadis Telematik? In Sachen Vernetzung im Gesundheitswesen ist Deutschland noch längst nicht so weit wie andere Nationen. Experten vermuten, was dahintersteckt: der Lobbyismus.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. Bereiche wie die Medizintechnik und die Gesundheitstelematik sind zu wichtig, um sie ausschließlich in die Hände von Gesundheitspolitikern zu legen, findet der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD).
"Auch die Wissenschafts- und die Wirtschaftspolitik müssen sich dieser Themen annehmen", sagte Duin auf dem Kongress "Health 3.0" in Düsseldorf.
Der schnelle technologische Wandel erfordere die regelmäßige Anpassung der regulatorischen Bedingungen, etwa in Zulassungs- und Erstattungsfragen. Die Gesundheitspolitiker sieht Duin dazu offenbar nicht in der Lage.
Er verwies auf seine Erfahrungen als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. "Nur die Nerds gehen in den Gesundheitsausschuss, alle anderen sagen: Lasst mich damit in Ruhe."
"Dinosaurier" Datenschutz
Der Jurist sprach sich für einen zügigen Ausbau der Telematik-Infrastruktur aus. "Die Speicherung medizinischer Daten kann im Notfall Leben retten." Dabei müssten zwar der Schutz und die Sicherheit der persönlichen Patientendaten eine besondere Rolle spielen.
"Sie dürfen aber kein Hinderungsgrund sein, Innovationen umzusetzen." Den Datenschutz in Deutschland bezeichnete Duin als "Dinosaurier".
Er hält eine breite gesellschaftliche Debatte über die Zukunft des Gesundheitswesens für notwendig. Auf ihrer Grundlage könnten die Rahmenbedingungen so geändert werden, dass Forschung und Digitalisierung nach vorne gebracht werden.
Bei wichtigen Entwicklungen wie der personalisierten Medizin sei Deutschland nicht innovativ genug und drohe, im internationalen Vergleich zum Schlusslicht zu werden, sagte Angela Brand, Professorin für Social Medicine & Public Health Genomics an der Universität Maastricht.
"In vielen anderen Bereichen ist Deutschland immer Vorreiter gewesen, im Gesundheitsbereich ist das Gegenteil der Fall."
Die Ärztin hat eine mögliche Erklärung parat: In kaum einem anderen Land sei der Lobbyismus im Gesundheitswesen so stark. Ihrer Einschätzung nach sollten Bürger und Patienten bei Entscheidungen ein stärkeres Gewicht bekommen.
Das gelte etwa für den Umgang mit der großen Fülle an Patientendaten. Als Vorbild sieht Brand die Schweiz. Dort gebe es ein Pilotprojekt, bei dem eine Datenbank von einer Genossenschaft getragen wird, berichtete sie.
Die Mitglieder stellen ihre Gesundheitsdaten zur Verfügung und entscheiden, was damit passiert. Die Daten können auch verkauft werden, das Geld fließt an die Genossenschaft.
Verantwortung der Patienten
Auch Dr. Iris Zemzoum, Vorsitzende der Geschäftsführung der Janssen-Cilag GmbH, plädierte dafür, den Patienten mehr Verantwortung zu geben. "Mit dem Argument des Datenschutzes werden die Bürger oft im Dunkeln gelassen."
Der Datenschutz schränke die Möglichkeiten der Datenauswertung und -vernetzung ein, kritisierte Zemzoum. "Wir haben einen leichten Sicherheitsfimmel."
Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharmaunternehmen Birgit Fischer sieht eine schizophrene Entwicklung im deutschen Gesundheitswesen. Zu den unbestreitbaren Stärken habe die Selbstverwaltung beigetragen.
Jetzt gebe es durch das neue Wissen und die neuen technologischen Möglichkeiten eine neue Situation. "Die Strukturen, die das Gesundheitswesen stark gemacht haben, treten jetzt als Blockierer auf", sagte sie.
Die Molekularmedizin und die neuen Möglichkeiten der Daten-Analyse erlaubten einen Sprung in Diagnostik und Pharmazie. "Die Regularien sind aber immer noch auf das alte System zugeschnitten", beklagte Fischer.
Sie bezeichnete es als bedenklich, dass Deutschland im Bereich E-Health der Entwicklung in Europa hinterher hinke.