Wohin geht die Reise?

Die Akte E

Gesundheitsdaten jederzeit und auf einen Blick: Mit der elektronischen Patientenakte verbindet sich die Hoffnung auf bessere Integration der medizinischen Versorgung. Mit bloßer Datensammlung ist es aber längst nicht getan.

Kerstin MitternachtVon Kerstin Mitternacht Veröffentlicht:
An fehlender Hardware liegt es nicht: Der PC ist in Praxis und Klinik längst eine Selbstverständlichkeit. Elaboriertere Anwendungen der elektronischen Patientenakte scheitern dagegen häufig an fehlenden Schnittstellen.

An fehlender Hardware liegt es nicht: Der PC ist in Praxis und Klinik längst eine Selbstverständlichkeit. Elaboriertere Anwendungen der elektronischen Patientenakte scheitern dagegen häufig an fehlenden Schnittstellen.

© K. Sutyagin / fotolia.com

FRANKFURT/MAIN. Wenn von einer elektronischen Patientenakte die Rede ist, hat oft jeder etwas Unterschiedliches im Kopf: Der eine denkt an ein Krankenhausinformationssystem mit einer integrierten Patientenakte, sodass die Daten eines Patienten im Krankenhaus von jeder Stelle aus abrufbar sind.

Ein anderer denkt dabei an eine institutionen-übergreifende Akte, auf die Krankenhausärzte, aber auch Niedergelassene Zugriff haben.

Und fragt man einen Dritten, denkt dieser an eine Akte, auf die der Patient Daten hochladen kann und Zugriff hat, "was im allgemeinen Sprachgebrauch dann aber Gesundheitsakte heißt", erklärt Dr. Stefan Resch, vom Kompetenzzentrum E-Health des Medizintechnikunternehmens Cerner. Cerner hatte vergangenen Herbst die Healthcare-IT-Sparte von Siemens übernommen.

"Eine reine Patientenakte ist eigentlich nur ein Schuhkarton, in den Informationen gelegt werden", erklärt Resch.

"Spannend ist vielmehr die Vernetzung der Daten und wie daraus Kooperationen unter den Akteuren im Gesundheitswesen entstehen können. Uns geht es bei Cerner darum, mit IT den Behandlungsprozess zu unterstützen."

Pilote in Erlangen und Aachen

Um die Daten auszutauschen sind die passenden Schnittstellen von Bedeutung. Die Technik dafür sei bereits vorhanden, versichert Resch, doch am Ende sei es eine Preisfrage, ob diese auch zum Einsatz kommt. Denn mit dem Bereitstellen von passenden Schnittstellen wollen Klinik- und Praxis-IT-Hersteller Geld verdienen.

Bei den Möglichkeiten der Anbindung gibt es einige Unterschiede. So kann die Schnittstelle in einer Praxissoftware integriert sein, aber es gibt auch Portal-Lösungen, auf die jeder Behandler zugreifen kann.

So können Ärzte sich mit einem Passwort einloggen und Bilder und Daten austauschen, aber auch gemeinsam dokumentieren. Grundsätzlich besteht bei dieser Lösung auch die Möglichkeit, dass der Patient sich einloggen und auf bestimmte, vorher festgelegte Daten zugreifen kann.

Solche Anbindungen gibt es zum Beispiel schon seit längerem an den Unikliniken Erlangen und Aachen. In Erlangen wird mit der Kommunikationsplattform "Soarian Integrated Care" die Betreuung herzkranker Kinder optimiert - lange Anfahrten und unnötige Untersuchungen bleiben den Kindern so erspart.

Auf der Plattform können Ärzte EKG-Befunde, Ultraschallbilder oder OP-Fotos in eine webbasierte Patientenakte einstellen. Das soll die Interaktion zwischen Klinik- und Fachärzten erleichtern.

Ein Vorteil sei, dass die Plattform unabhängig von Klinik- oder Praxissoftware ist, da die Daten auf einem eigenen Server gespeichert werden. Für jeden Patienten lässt sich ein Team aus Ärzten und Zugriffsberechtigungen definieren, erläutert Resch die Funktion.

Doch wie sieht es mit den Kosten aus, wenn sich Ärzte für eine Schnittstelle, zwischen ihrer Praxis und einer Klinik oder einem MVZ, entschließen? "Natürlich kommt es auf den Hersteller und auf den Support an", sagt Resch.

"Deshalb lässt sich keine genaue Zahl nennen. Viele Niedergelassene sehen jedoch den Mehrwert noch nicht. Ob der Arztbrief am Ende elektronisch in die Praxis kommt oder doch per Post, ist dem Hausarzt oftmals egal."

Obwohl Ärzte es durchaus praktisch fänden, wenn ein Arztbrief automatisch in die Praxis-EDV einläuft, wollen sie Extra-Kosten dafür derzeit noch nicht tragen.

Patienten werden hofiert

Anders sehe die Sache allerdings bei spezialisierten Fachärzten aus, weiß Resch. Bei denen sei die Bereitschaft höher, für den Service auch zu bezahlen. Für einen Kinderkardiologen beispielsweise sei es ein Mehrwert, wenn er Daten schnell und unkompliziert einsehen kann, wie sich in Erlangen gezeigt habe.

An dem Projekt beteiligen sich derzeit alle nordbayerischen Unikliniken, kommunale Kinderkliniken und 16 niedergelassene Fachärzte. Ziel sei es, optimale Behandlungsqualität zu gewährleisten sowie eine möglichst schnelle Entlassung und heimatnahe Betreuung der kleinen Patienten.

"Ein neuer Trend, der sich in Zukunft noch ausbreiten wird, ist allerdings, dass Patienten über Patienten- beziehungsweise Gesundheitsakten mehr mitmischen können. Nicht mehr der Einweiser wird hofiert, sondern der Patient", sagt Resch.

"Der Patient soll aktiver in die Behandlung eingebunden werden." Das sei schon alleine angesichts des Landarztmangels sinnvoll.

So könnten Patienten mit ihrem Smartphone etwa eine Wunde aufnehmen und dem Arzt schicken, der sich einen ersten Eindruck von der Wundheilung machen kann. "Die passende App dazu gibt es schon", erklärt Resch. "Ein Projekt läuft bereits."

Bei solchen Projekten geht der Patient allerdings nicht einfach in den App-Store und lädt sich dort eine App herunter. Vielmehr werde drauf geachtet, wer mitmachen kann und welche Rechte er bekommt, so Resch.

"Es darf nicht passieren, dass der Patient über einen Befund Einblicke erhält, bevor der Arzt mit ihm darüber gesprochen hat. Auch bekommt der Patient eine Schulung, damit er genau weiß, wie er mit den Daten und der Technik umzugehen hat. Wir wollen Ärzte mit der passenden IT unterstützen, damit die Regelversorgung schneller und besser funktioniert."

Hier wird nach Reschs Meinung technisch noch viel passieren.

Datenschutz immer im Blick

Dabei ist der Datenschutz immer im Blick zu behalten. "Derzeit liegen bei unseren Projekten die Daten dort, wo sie auch erhoben wurden, also etwa im Krankenhaus. Und dort bleiben sie auch."

Die Zugriffe sind nach anerkannten Sicherungen geschützt, etwa durch Zertifikate, Passwörter, Server und verschlüsselte Kommunikation. "Und natürlich muss auch der Patient seine Zustimmung geben, dass seine Daten elektronisch in einer Akte gespeichert werden", sagt Resch.

Wirft man einen Blick auf Apps, die derzeit schon Gesundheitsdaten der Nutzer sammeln und speichern, wie die Apps von Google oder Apple, hat dies nach Reschs Ansicht, für die Behandlung erst einmal keinen Sinn.

Denn mit den Daten muss etwas passieren, damit sie einen Mehrwert schaffen. Und natürlich stellt sich die Frage, in wie weit die Daten, die mit Apps gesammelt werden - etwa Schlafverhalten, Puls, zurückgelegte Kilometer pro Tag - auch exakt sind und medizinisch überhaupt nützlich. Bisher sei das eher eine schöne Spielerei, so die Meinung des Experten.

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