Mehr Fälle, geringere Praxiskosten

Die verkehrte Milchmädchen-Rechnung

Eine höhere Fallzahl lässt die Kosten in der Praxis sinken. Die Krankenassen behaupten das oft. Doch stimmt es? Ökonomen haben nachgerechnet - mit einem überraschenden Ergebnis.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Wer wissen will, wie sich seine Praxiskosten entwickeln, darf nicht nur einfach Kosten addieren. Um die Stellschrauben für ein gutes Praxismanagement zu erkennen, ist eine Kostenfunktion die bessere Wahl.

Wer wissen will, wie sich seine Praxiskosten entwickeln, darf nicht nur einfach Kosten addieren. Um die Stellschrauben für ein gutes Praxismanagement zu erkennen, ist eine Kostenfunktion die bessere Wahl.

© D. Doyle / Getty Images

BERLIN. Wie sieht die Kostensituation der Praxen aus? Diese Frage war einer der großen Streitpunkte bei den vorjährigen Honorarverhandlungen zwischen Kassen und KBV. Eine klare Antwort konnten beide Seiten nicht liefern.

Wie es gehen könnte, zeigt nun aber eine Kostenfunktions-Rechnung des Hamburg Center for Health Economics (hche).

Das Institut, das an der Universität Hamburg angesiedelt ist, hat nämlich herausgearbeitet, wie sich die Kosten pro Fall in Arztpraxen verändern, wenn an verschiedenen Variablen gedreht wird und was passiert, wenn Praxen die Fallzahl erhöhen.

Dann sinken nämlich nicht, wie von den Kassen angenommen, generell die Kosten der Praxen - ganz im Gegenteil.

Traurig aber war: "Praxiskostenfunktionen bilden bisher in keinem Land die Grundlage für die Vergütung ambulanter Ärzte", sagte Professor Jonas Schreyögg vom hche in Berlin.

Dort stellte der Ökonom auf einer Fachtagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) die Praxiskostenfunktion des hche vor.

Was die Kostenfunktionsrechnung etwa anders macht als die von den Kassen herangezogene Stückkostenrechnung des Prognos-Instituts: Sie geht eben nicht davon aus, dass in den Praxen vorwiegend fixe Kosten vorherrschen, die sich bei einer Ausweitung der Leistungsmenge nicht merklich nach oben bewegen.

Der Kostenfaktor Arzt zählt mit

Die Hamburger Ökonomen haben sich als Output ihrer Rechnung nur die GKV-Fälle vorgenommen. Um diese zu erzielen wurden als Input-Preise die Kosten für nichtärztliches Personal, Mieten, aber eben auch der Zeitaufwand des Arztes als Näherungswert für den Preis der selbstständig tätigen Ärzte herangezogen.

Auf letztere Komponente verzichtet die Stückkostenrechnung von Prognos komplett. Um die Werte zu ermitteln, bedienten sich die Ökonomen bei den Daten des Zi-Praxispanels (ZiPP).

Schreyögg gestand daher auch ein, dass die Kostenfunktion damit leider auf Daten der Jahre 2006 bis 2008 basiert. Das Problem: Aktuellere Daten gibt es derzeit nicht. Aber vom Zi war zu hören, dass bereits im ersten Halbjahr 2013 die aktuellen Daten aus den Praxen vorliegen sollen.

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Das Spannende an der Kostenfunktion ist nun, dass sie die Praxiskosten nicht eindimensional betrachtet, sondern als Kontrollvariablen auch den Case-Mix der Praxen, den Anteil angestellter Ärzte, Infos zur Region, in der die Praxis sich befindet und zum Fachgebiet berücksichtigt.

Was in der Rechnung allerdings gar nicht berücksichtigt wird sind Praxisumsatz und -gewinn. Und: Die Ökonomen haben sich fünf Variablen herausgesucht, an denen sie drehen, um die Veränderungen der Kosten pro GKV-Fall zu ermitteln.

Diese sind:

  • der Grad der Spezialisierung
  • die Zahl der Ärzte in einer Praxis
  • Qualitätszertifizierungen
  • die Zahl der Fortbildungstage
  • und die Teilnahme an DMP oder Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV)

Diese Variablen dürften auch für die Kassen von besonderem Interesse sein, da sie sich auf Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit auswirken.

Kostendegression? Von wegen!

Das Ergebnis: Die Kosten je Fall sinken mit einer Zunahme der Fälle - also bei einer Ausweitung der Praxiskapazitäten - eben nicht, sie steigen. Genauer haben die Hamburger Ökonomen die Fallzahl um zehn Prozent nach oben gedreht.

Mit dem Effekt, dass die Kosten je Fall in der Hausarztpraxis im Schnitt um 14,24 Prozent zulegten, in Euro und Cent kostet den Hausarzt ein zusätzlicher Fall 16,41 Euro mehr.

Die Fachärzte können Fallzahlsteigerungen zwar besser kompensieren, bei ihnen erhöhen sich die Kosten nur um 5,37 Prozent je Fall. In Euro und Cent müssen sie je zusätzlichem Fall allerdings 19,01 Euro mehr einkalkulieren.

Aber die Praxiskostenfunktion zeigt noch mehr: Ein zusätzlicher Arzt erhöht die Kosten einer Hausarztpraxis um 54,2 Prozent pro Fall, in Facharztpraxen nur um 26,9 Prozent.

"Bei den Hausärzten haben wir allerdings gerade am Anfang - beim Umstieg von der Einzelpraxis in eine Gemeinschaftspraxis - einen relativ hohen Kostensprung", so Schreyögg.

Ab dem vierten Arzt wirds günstiger

Ab dem vierten Arzt flacht die Kostenkurve dann erheblich ab. Das wiederum sieht bei den Fachärzten anders aus. Bei ihnen ist der Kostensprung von der Einzelpraxis in die Gemeinschaftspraxis zwar nur halb so hoch, dafür flacht die Kostenkurve mit zunehmender Arztzahl je Praxis aber nur geringfügig ab.

Das liegt vor allem daran, dass Facharztpraxen mit mehreren Ärzten eben auch noch mehr in die technische Ausstattung ihrer Praxen investieren.

Das belegen übrigens auch die Daten des ZiPP. Beim Vergleich der Mittelwerte der Aufwände von fachärztlichen Einzel- und Gemeinschaftspraxen zeigte sich, dass in den Kooperationen die Aufwände je Praxisinhaber im Schnitt um 4000 Euro in der Spitze sogar um 10.000 Euro über denen der Einzelpraxen lagen.

Bei den Hausärzten lagen die Aufwände der Gemeinschaftspraxen hingegen im Schnitt 11.000 Euro unter denen der Einzelpraxis.Aber zurück zur Kostenfunktion. Sehr interessant ist, dass Praxen von einer Spezialisierung profitieren.

Nimmt die Spezialisierung nur um ein Prozent zu, können Hausarztpraxen ihre Kosten pro Fall um 1,48 Prozent senken, Fachärzte hingegen nur um 0,38 Prozent. Schreyögg: "Offensichtlich ist es so, dass Praxen mit zunehmender Spezialisierung auch besser organisiert sind."

Sie führten Prozesse effizienter aus und könnten dadurch die Fallkosten senken. Ebenfalls kostendämpfend wirken sich die Teilnahme an DMP und HzV-Verträgen aus.

So können Fachärzte durch die Teilnahme an DMP ihre Fallkosten um 4,4 Prozent senken, in den Hausarztpraxen sinken die Kosten durch DMP nur um 0,6 Prozent.

DMP und HzV sind Kostendämpfer

Verwunderlich? Eher nicht, da bei den DMP die größte Gesprächsleistung bei den Hausärzten liegt. Aber: Wer an HzV-Verträgen teilnimmt, der senkt seine Kosten pro Fall im Schnitt um sieben Prozent.

Schreyögg erklärt diese Kosteneffekte aber nicht nur damit, dass es in DMP und HzV-Verträgen mehr standardisierte Prozesse gibt. "Die Teilnahme an beiden Versorgungsformen führt auch dazu, dass die Praxis häufiger von Bestandspatienten als von neuen Patienten aufgesucht wird."

Und der Arbeitseinsatz bei Patienten, die die Praxis schon kennen, sei nun einmal geringer.

Was zwar mehr Qualität in der Versorgung, aber eben auch eine Kostensteigerung bringt: QM und Fortbildungstage für Arzt und Praxisteam. Ein zusätzlicher Fortbildungstag erhöht nach der Berechnung des hche die Kosten je Fall bei Hausärzten um 0,6 Prozent, bei Fachärzten um 0,4 Prozent.

Eine Qualitätszertifizierung schlägt sogar mit einer Kostensteigerung von 9,1 Prozent bei Hausärzten und 11 Prozent bei Fachärzten zu Buche. Das müsste bei der Vergütung berücksichtigt werden, so Schreyögg.

Die Kostenfunktion

Die Rechnung: Die Ökonomen des Hamburg Center for Health Economics (hche) betrachten die Praxiskosten nicht statisch, sondern haben eine Kostenfunktionsrechnung mit verschiedenen Variablen aufgemacht. Dazu zählen auch der Zeitaufwand des Arztes und der Case-Mix der Praxen.

Die Stellschrauben: Gedreht haben die Ökonomen etwa am Grad der Spezialisierung, dem Grad der DMP/HzV-Teilnahme, der Zahl der Ärzte, aber auch der Fallzahl.

Das Ergebnis: Wird die Fallzahl erhöht, steigen die Kosten. In Hausarztpraxen stärker als in Facharztpraxen. Auch ein neuer Arzt erhöht erst einmal die Kosten je Fall – eine Degression findet erst ab einer bestimmten Arztzahl statt. Wer aber Prozesse in der Praxis standardisiert, kann tatsächlich die Kosten je Fall senken.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Eine saubere Kalkulation

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Kommentare
Dr. Hans-Jürgen Kühle 08.01.201311:38 Uhr

Danke! Das beruhigt, aber nicht wirklich

Endlich verstehe ich, dass wir als kinder- und jugendärztliche Praxis nicht dumm, sondern tragisch sind. Nach Praxisschließung in der Umgebung sind die Fallzahlen, aber auch die Kosten in die Höhe geschnellt. Es tut sich ein neues Hamsterrad auf...

Dr. Thomas Georg Schätzler 07.01.201323:01 Uhr

Danke an das Hamburg Center for Health Economics (HCHE)!

Ich hätte nicht zu träumen gewagt, dass meine z. T. heftige Kritik bzw. der fehlende Widerspruch seitens der KBV (!) an der vom GKV-Spitzenverband Bund (SpiBu) der Krankenkassen gesponserten und protegierten "Stückkostenrechnung des Prognos-Instituts" durch das Hamburger HCHE eine so prominente und hochqualifizierte Unterstützung erfahren würden. Vgl.
http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/praxisfuehrung/article/827215/leitartikel-rechnen-aerzte-wirklich-arm.html
und
http://www.springermedizin.de/prognos-gutachten-seltsame-zahlen-tollkuehne-ableitungen/3187080.html

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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