VLK-Präsident
"Diese Sicht im Gesundheitswesen ist grundlegend falsch"
Eine stärkere Berücksichtigung der medizinischen Expertise in der Krankenhaus-Ökonomie fordert Professor Hans-Fred Weiser. Nur so ließen sich Qualität und Wirtschaftlichkeit in der stationären Versorgung nachhaltig sichern, sagt der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschland.
Veröffentlicht:Professor Hans-Fred Weiser
Aktuelle Position: Präsident des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK) seit 2003.
Studium: Weiser studierte ab 1969 Humanmedizin in Göttingen.
Werdegang: Von 1988 bis 2011 war Weiser Chefarzt der I. Chirurgischen Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Diakoniekrankenhauses Rotenburg/Wümme. Weiser gilt als Pionier der minimalinvasiven Chirurgie.
Ärzte Zeitung: Herr Professor Weiser, wer hat im Krankenhaus das Sagen? Kaufleute oder Ärzte?
Professor Hans-Fred Weiser: Der finanzielle Druck im Gesundheitswesen führt dazu, dass in immer stärkerem Maße auch ökonomische Aspekte in die Versorgung einziehen. Tatsächlich habe ich aktuell den Eindruck, dass wir - in typisch deutscher Manier - dabei mal wieder über das Ziel hinausgeschossen sind.
Der Zweck des Krankenhauses scheint jetzt die Generierung von schwarzen Zahlen zu sein, das Mittel dazu ist die Medizin.
Taugen Krankenhäuser denn dazu, wie Industriestandorte betrachtet zu werden?
Weiser: Sie sehen, dass es sich um eine dramatisch falsche und in der Tat ökonomisch dominierte Sichtweise handelt. Das beschriebene Verhältnis von Zweck und Mittel gilt nämlich tatsächlich für die Fertigungsindustrie: Zweck ist der Gewinn - und dann suche ich mir ein Geschäftsfeld dazu - an dem Nokia-Switch von Gummistiefeln zu Handys können Sie das sehr schön sehen.
Genau diese Sicht ist im Gesundheitswesen aber grundlegend falsch: Zweck eines Krankenhauses ist die Heilung von Menschen oder die Linderung ihres Leidens. Punkt. Schwarze Zahlen sind Mittel zu diesem Zweck.
Haben also doch die Kaufleute das Sagen im Krankenhaus?
Weiser: Ihre Frage ist so pauschal nicht zu beantworten, aber mit dem zuvor Gesagten wird deutlich, dass konventionelles kaufmännisches Denken dem Gesundheitswesen nicht adäquat ist.
Kluge Krankenhausmanager haben das verstanden und wissen, dass die eigentliche Wertschöpfung im Krankenhaus durch Ärzte und Pflege geleistet wird. Niemand geht ja deshalb in ein Krankenhaus, weil der kaufmännische Direktor so kompetent ist.
Und jetzt ist die Frage: Wie gut hat die jeweilige Krankenhausführung diese besondere Systemlogik des Wirtschaftsraums Gesundheitswesen verinnerlicht? Im besten Fall haben dann Ärzte und Kaufleute das Sagen. Und zwar in dieser Reihenfolge.
Hat die kaufmännische Leitung Respekt vor der Leistung der Ärzte? Wie ist die Kommunikationskultur zwischen den Ebenen?
Weiser: Genau das ist der Punkt: Wenn die kaufmännische Leitung verstanden hat, wie die Wertschöpfungsprozesse im Krankenhaus und im Gesundheitsmarkt allgemein laufen, arbeiten ärztliche und kaufmännische Leitung in der Regel mit gegenseitigem Respekt und auf gleicher Augenhöhe gut zusammen.
Hier stimmen dannfast automatisch auch die gegenseitige Wertschätzung und die Kommunikationskultur.
Können Krankenhäuser im Wettbewerb damit punkten?
Weiser: Es ist ja nicht so, dass wir Ärzte nicht verstehen würden, dass der Betrieb eines Krankenhauses auch ökonomischen Gesetzen zu folgen hat.
Wenn also diese gegenseitige Wertschätzung gegeben ist, sind verschiedene erfolgreiche Modelle einer funktionierenden Kommunikationskultur denkbar, und hier gibt es auch sehr gute praktische Umsetzungsbeispiele.
Meines Erachtens werden sich tatsächlich genau diejenigen Häuser im Wettbewerb halten können, die diese Form gegenseitiger Wertschätzung praktisch leben und die auf dieser Grundlage Strukturen einer funktionierenden Kommunikationskultur etabliert haben.
Wie verträgt sich die Ökonomisierung des stationären Sektors mit der Qualitätssicherung?
Weiser: Ökonomisierung wird zwar vielfach als Skandal angesehen, ist aber im Grunde nicht das Problem: Jeder Betrieb im Gesundheitswesen hat immer auch ökonomische Grundlagen, die ihn tragen und sichern müssen. Das eigentliche Problem - und das ist mit dem Begriff der Ökonomisierung in der Regel auch gemeint - ist die Kommerzialisierung.
Denn jetzt - siehe Nokia - steht der ökonomische Zweck im Vordergrund und die Mittel werden nachrangig. Und genau das geht eben im Gesundheitswesen nicht. Schwierig wird es also immer dann, wenn das oben beschriebene Verhältnis von Mittel und Zweck von der kaufmännischen Leitung nicht verstanden wird.
Inwiefern?
Weiser: Dann hält die Geschäftsführung das Krankenhaus - salopp gesagt - für einen Betrieb zum Verkauf von medizinischen Eingriffen. Knie- und Hüftendoprothesen sind oft genannte Beispiele.
Und wenn sich diese falsche Denke im Krankenhaus erst einmal etabliert hat, geht irgendwann zwangsläufig auch die Qualität in den Keller.
Was kann der Beitrag der Chefärzte zur Dekommerzialisierung von Krankenhäusern sein?
Weiser: Der Kampf der Leitenden Ärzte muss dahin gehen, an der Scharnierstelle zwischen Ökonomie und Medizin allen Beteiligten klar zu machen, dass nur die Berücksichtigung der medizinischen Parameter Qualität und Wirtschaftlichkeit eines Hauses langfristig und nachhaltig sichern kann.
Wenn ich mich allerdings einem ausschließlichen Wirtschaftsdenken unterwerfe, werde ich vielleicht kurzfristig Erfolge einfahren, aber langfristig werde ich hohe qualitative Standards auf diese Weise nicht halten können, und das Haus ist letztlich nicht mehr wettbewerbsfähig.
Will sagen: Wirtschaftliches Denken und Qualität schließen sich nicht aus. Es muss aber ein dem Gesundheitswesen und der Patientenversorgung angemessenes wirtschaftliches Denken sein. Hier haben wir keineswegs schon alle Gefährdungen und Irrtümer überwunden.
Welche Gründe gibt es für die Ökonomisierung, oder, wie Sie sagen, Kommerzialisierung? Reicht es, der ausbleibenden Investitionsfinanzierung der Länder den schwarzen Peter zuzuschieben?
Weiser: Die fehlende Investitionsfinanzierung der Länder ist ein Skandal allererster Güte, und sie verschärft massiv alle Probleme die wir mit Kommerzialisierung, Ökonomisierung und Qualität derzeit in der Krankenhauslandschaft haben. Aber sie ist nicht das eigentliche Problem für die aktuellen Spannungen und Verwerfungen.
Dafür ist nämlich in erster Linie das DRG-System verantwortlich, weil es eine Stückgut-Kostenrechnung aus der Welt der Fertigungsindustrie auf das Gesundheitswesen überträgt.
Diese Erkenntnis scheint aber noch nicht überall angekommen zu sein...
Weiser: Der VLK und die Bundesärztekammer haben schon gleich zu Beginn der Diskussion um die Einführung des DRG-Systems auf diese Unangemessenheit hingewiesen, und es gab schon damals Szenarien, die aufgezeigt haben, in welchen Bereichen wir aufgrund welcher Fehlanreize Probleme bekommen werden.
Aber bei den damaligen politisch Verantwortlichen sind medizinische Argumente wirkungslos verpufft und wurden als Standesdünkel abgetan. Heute versuchen wir, die kritischen Entwicklungen wieder zu reparieren. Aber nochmal: Die fehlenden Investitionseuro der Länder verschärfen zwar das Problem, sie sind jedoch nicht dessen eigentliche Ursache.
Muss ein leitender Arzt heute auf jeden Fall auch unternehmerisches Denken mitbringen?
Weiser: Ein leitender Krankenhausarzt ist das entscheidende Scharnier zwischen erstklassiger Medizin des Teams sowie jedes einzelnen Arztes und den ökonomischen Rahmenbedingungen. Er muss natürlich unternehmerisches Denken mitbringen. Aber: Es muss das richtige, dem Gesundheitssystem adäquate Denken sein.
Und hier hat der leitende Arzt die Verpflichtung, seiner Geschäftsführung sehr deutlich zu sagen, wenn Vorgaben und Ziele gesetzt werden, die dem Gesundheitssystem nicht gemäß und einer guten Medizin eher abträglich sind. Das ist im Einzelfall nicht immer einfach und braucht vielleicht auch ein breites Kreuz.