Medica Econ Forum
Gesundheitsdaten in Europa: Das sind die Chancen – und Risiken
Im Rahmen der virtuellen Medica haben Experten über Chancen und Risiken der EU-weiten Verwendung von Gesundheitsdaten diskutiert. Bis die Vorteile ausgespielt werden können, dauert es noch. Das Arbeitstempo ist aber hoch.
Veröffentlicht:Düsseldorf. Die EU-weite Verwendung von Gesundheitsdaten steht bei der Europäischen Kommission und während des noch laufenden deutschen EU-Ratsvorsitz hoch im Kurs.Vergangene Woche erst haben sie Pläne für den europäischen Gesundheitsdatenraum bekräftigt, in dem länderübergreifend eine sichere und patientenorientierte Nutzung von Gesundheitsdaten möglich sein soll.
Aber welche Chancen und Risiken birgt die EU-weite Verwendung von Gesundheitsdaten? Folgt man den Ausführungen von Professor Ferdinand Gerlach, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, so überwiegen klar die Vorteile. „Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung wird besser und sicherer“, erläuterte Gerlach am Montag im Rahmen des Medica Econ Forum, veranstaltet von der Messe Düsseldorf und der Techniker Krankenkasse. Wie die gesamte Medizinmesse mit angeschlossenem Kongress findet auch das Econ Forum wegen der Pandemie ausschließlich digital statt.
„Profitieren könnten Grenzgänger, Urlauber oder Patienten, die aufgrund von Kapazitätsengpässen kurzfristig in eine Klinik im europäischen Ausland verlegt werden müssen“, so Gerlach weiter. „Risiken bestehen vor allem dann, wenn Europa nicht gemeinsam handelt!“
Auf europäische Werte fokussieren
Damit Gesundheitsdaten EU-weit verwendet werden können, bedürfe es jedoch eines gemeinsamen Kodex auf Basis einer europäischen Werteordnung. Dieser ermögliche eine eigenständige Entwicklung jenseits chinesischer oder US-amerikanischer Vorstellungen und Einflüsse. „Daten und ihre Nutzung sind zu wichtig, um die Zukunft nicht selbst aktiv zu gestalten“, betonte Gerlach. „Wir müssen uns verständigen, was das Ziel transnationaler Patientenversorgung ist und brauchen ethische, legale und soziale Rahmenbedingungen.“
Zustimmung erhielt Gerlach in der Diskussionsrunde dafür aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG). Dr. Gottfried Ludewig, Abteilungsleiter Digitalisierung und Innovation im Gesundheitswesen im BMG, sagte, er sehe Europa auf einem guten Weg, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, Daten strukturiert zu erfassen und zu verwerten. Noch im Dezember solle der gemeinsame „Code of Conduct“ auf den Weg gebracht werden. „Wir wollen, dass der Fortschritt bei uns stattfindet, und ihn bei uns gestalten“, so Ludewig.
Dritter in der Diskussionsrunde am Montag war Professor Rolf Schwartmann, Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit und Mitglied der Datenethikkommission. Auch er plädierte dafür, „die Einheitlichkeit in Europa voranzutreiben“. Dafür brauche es aber in erster Linie eine stabile technische Infrastruktur. „Wir müssen Sicherheitsstrukturen schaffen, die eine Datenverarbeitung zu Gesundheitszwecken möglich machen“, so Schwartmann.
Datenschutz darf nicht immer an erster Stelle stehen?
Ein Ausdruck der europäischen Werteordnung ist nach Auffassung der Experten in der Diskussionsrunde die Europäische Datenschutzgrundverordnung, die länderspezifisch jedoch uneinheitlich interpretiert werde.
In Deutschland werde der Datenschutz erfahrungsgemäß eng gesetzt. Ein Beispiel ist die Corona-Warn-App, die im internationalen Vergleich durch besonders strikten Datenschutz hervorsticht. In der Vergangenheit hat sich jedoch die Kritik gehäuft, dass eben diese Regeln ein Grund dafür sind, dass die Warn-App bisher nicht so greift, wie ursprünglich erhofft. Für Gerlach ist die Corona-Warn-App deshalb zwar „ein super Tool, aber ein stumpfes Schwert“. „Im Zweifel geht in Deutschland Datenschutz vor Lebensschutz. Wir müssen eine neue Balance finden zwischen Datenschutz und Datensicherheit auf der einen Seite und Gesundheit und Lebensschutz auf der anderen Seite“, spitzte Gerlach in der Diskussion zu.
Auch die elektronische Patientenakte (ePA) könnte nach Auffassung Gerlachs zu einem Misserfolg werden: „Wir müssen beim Thema Einwilligung einen riesen Schritt nach vorne machen.“ Für Ludewig ist der Erfolgsfaktor ein anderer: „Am Ende wird der Nutzen über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.“ Aber, darin waren sich die drei Experten in der Diskussionsrunde einig: Wichtig sei es, den eingeschlagenen Weg der Digitalisierung weiterzugehen und dabei Schritt für Schritt vorzugehen. Statt mit perfekten Konzepten zu beginnen, sei es wichtig, aus Fehlern zu lernen und die Prozesse zu gestalten. Ludewig: „Wir müssen das Tempo weiter hochhalten!“