Telemedizin
Gesundheitswirtschaft schlägt Alarm
Telekonsultationen könnten Ärzten Zeit sparen. Doch sie können sie nicht abrechnen. Das ist einer der Gründe dafür, dass Telemedizin in Deutschland bisher kaum in der Regelversorgung angekommen ist.
Veröffentlicht:Die deutsche Gesundheitswirtschaft boomt. Fast jeder achte Erwerbstätige in Deutschland arbeitet im Gesundheitsbereich. Tendenz steigend. Mit einem Anteil von fast zwölf Prozent trägt die Branche zudem maßgeblich zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Zum ersten E-Health-Kongress Vernetzte Gesundheit in Rhein-Main und Hessen trafen sich am vergangenen Freitag in Darmstadt fast 200 Vertreter der Gesundheitsbranche. Eingeladen hatte die Initiative Gesundheitswirtschaft Rhein-Main.
Die Mitgliedsunternehmen der Initiative und die Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed) sind überzeugt: Einer der wichtigsten Treiber der Gesundheitswirtschaft ist E-Health. Doch aktuell ist es in Deutschland für Unternehmen schwer, mit telemedizinischen Produkten und Dienstleistungen im GKV-finanzierten ersten Gesundheitsmarkt Fuß zu fassen - vor allem im ambulanten Bereich.
Kostensenker Telemedizin
Deshalb sehen die Initiatoren Bedarf an Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit: "Die Telemedizin ist ein revolutionäres Organisationselement", so Professor Hans-Jochen Brauns, Vorstandsvorsitzender der DGTelemed. "Bisher ist ärztliche Kompetenz an den Standort des Arztes gebunden. Mittels Telemedizin wird sie standortungebunden." Nach Ansicht Brauns ist die Technik ausgereift, der Datenschutz gewährleistet.
Die Unternehmen haben attraktive Produkte und Dienstleistungen im Angebot, die Kosten senken und die Behandlung der Patienten effizienter machen. Zwei Beispiele: Home Monitoring für chronisch Kranke oder interdisziplinäre Fallkonferenzen per Internet. Für Brauns führt deshalb angesichts des demografischen Wandels und des Ärztemangels in strukturschwachen Gebieten kein Weg an der Telemedizin vorbei. Die aktuelle Situation in Deutschland hält er schlicht für "inakzeptabel".
Stroke Units mit weitem Aktionsradius
Wie sieht es aus in Deutschland in Sachen E-Health? Telemedizinische Angebote gibt es fast ausschließlich an Kliniken, da sie dort abgerechnet werden können. Paradebeispiele sind Schlaganfall-Tele-Netze und Teleradiologie.
Etwa 180 deutsche Kliniken verfügen über eine zertifizierte Schlaganfall-Spezialabteilung (Stroke Unit). Da in ländlichen Regionen der Weg zur nächsten Stroke Unit häufig weit ist, gibt es seit 2011 auch sogenannte Tele-Stroke-Units.
Bevor die Telemedizin bei den niedergelassenen Ärzten - insbesondere im ländlichen Raum - ankommen kann, müssen Abrechnungsmöglichkeiten geschaffen werden. Augenblicklich gibt es für Hausärzte gerade einmal zwei EBM-Nummern für Telemedizin im ambulanten Bereich: Über die Kostenpauschalen 40870 und 40872 können Ärzte Hausbesuche mit telemedizinischer Unterstützung durch speziell weitergebildete Fachangestellte abrechnen. Hier soll es 2015 Änderungen geben, die den Einsatz von MFA auf Hausbesuch besser honorieren.
Telekonsultationen können derzeit im ambulanten Bereich nicht abgerechnet werden. Das führt für technikaffine Ärzte zu Einnahmeverlusten - beispielsweise bei der Behandlung von Patienten im häuslichen Umfeld oder in Pflegeheimen. Hausbesuche können abgerechnet werden, ein Gespräch zwischen Arzt und Patient per Skype dagegen nicht.
Unterstützung bekamen die Teilnehmer der E-Health-Konferenz in diesem Punkt vom hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wasir: "Ärzte sollen ihre Zeit mit der Behandlung von Patienten verbringen und nicht im Auto auf der Straße."
Telemedizin nur selten Teil der Regelversorgung
Die Telemedizin in Deutschland steckt vielerorts in den Kinderschuhen. Zwar gibt es laut DGTelemed Telemedizinprojekte in mehr als 100 Städten und Kommunen Deutschlands. Doch der Großteil kommt nicht in der Regelversorgung an.
Von den 181 im deutschen Telemedizinportal registrierten Projekten sind 95 nicht Teil der Regelversorgung. Von den übrigen 86 Projekten werden 32 privatwirtschaftlich gefördert. Patienten nehmen telemedizinische Dienstleistungen bisher nur selten in Anspruch, denn die meisten Krankenkassen erstatten die Kosten dafür nur in Ausnahmefällen.
Die Organisatoren des E-Health-Kongresses sehen die Politiker in der Pflicht. Florian Gerster, Vorsitzender der Initiative Gesundheitswirtschaft: "Es wird sich nur dann grundsätzlich etwas ändern, wenn Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe es zu seinem Anliegen macht." Mit Spannung wird daher das angekündigte E-Health Gesetz erwartet. Dort könnte klargestellt werden, wie das Fernbehandlungsverbot in Zukunft ausgelegt werden kann.