Hämophilie-Projekt

Graswurzel-Telemedizin mit Hürden

Eine bessere Versorgung für Patienten mit Hämophilie: Zwei niedergelassene Kollegen haben das selbst in die Hand genommen. Herausgekommen ist ein Telemedizin-Projekt samt Smartphone-App. Die größte Hürde ist das liebe Geld.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Nicht nur behandelnde Ärzte, auch Patienten sollen von einer neuen Smartphone-App für Bluter profitieren.

Nicht nur behandelnde Ärzte, auch Patienten sollen von einer neuen Smartphone-App für Bluter profitieren.

© Jeanette Dietl / fotolia.com

BERLIN. Das Gerinnungsmanagement bei Hämophilie erfordert regelmäßige Selbstkontrolle und penible Dokumentation.

Ein von niedergelassenen Ärzten initiiertes Telemedizinprojekt verbessert die Qualität der Versorgung und intensiviert den Kontakt zwischen Arzt und Patient.

Bei dem Projekt "Smart Medication" nutzen Hämophilie-Patienten seit Anfang 2012 eine Smartphone-App, mit der sie Blutungsereignisse, Gerinnungsparameter und Menge der in Eigenregie applizierten Gerinnungsfaktorkonzentrate elektronisch dokumentieren.

Die Daten werden über eine sichere Verbindung in einer Online-Akte aufgezeichnet. Ärzte können diese Akte aufrufen und erhalten einen tabellarischen Überblick über alle von ihnen versorgten Bluterpatienten.

Sieben Hämophiliezentren im Boot

Der Anstoß kam von den beiden niedergelassenen Ärzten Dr. Wolfgang Mondorf (Frankfurt/Main) und Dr. Hartmut Pollmann (Münster). Im Rahmen einer Diplomarbeit an der Universität Marburg wurde die erste Version der Telemedizinplattform entwickelt.

"Mittlerweile beteiligen sich daran sieben Hämophiliezentren mit insgesamt 104 Patienten", so Mondorf zur "ÄrzteZeitung". In ganz Deutschland sind es rund 3000 .

Den Hauptnutzen des Telemedizinprojekts sieht Mondorf darin, dass er aktuelle Informationen erhält. Bisher kamen die Patienten alle zwei bis drei Monate mit ihren Papieraufzeichnungen zu ihm: "Das war oft viel zu spät."

Heute analysiert er regelmäßig seine Tabelle und ruft Patienten, bei denen beispielsweise zu häufig Blutungen auftreten, direkt an, um die Menge der applizierten Konzentrate anzupassen. Mondorf sieht auch sofort, wann die beim Patienten eingelagerten Konzentrate zur Neige gehen.

Spätestens dann ist ein persönlicher Termin fällig, um nicht Gefahr zu laufen, dass bei einer ernsthaften Blutung nicht mehr ausreichend Konzentrate zur Verfügung stehen.

Die Smart Medication App erlaubt es den Patienten auch, Fotos einzusenden. Mondorf: "Ich hatte einen Patienten, der ganz verzweifelt angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass er sich einen Zahn ausgeschlagen hatte. Auf dem Bild konnte ich dann sehen, dass es nur eine kleine Ecke war. Dafür musste er nicht extra kommen."

Bei Pollmann gab es den umgekehrten Fall. Ein Patient war auf die Nase gefallen und versicherte am Telefon, es sei nicht dramatisch. Auf dem Foto zeigte sich dann ein Brillenhämatom. Dem Patienten wurde geraten, eine Zeit lang mehr als sonst zu substituieren.

Finanzierung ist der heikle Punkt

Der heikle Punkt bei Smart Medication ist die Finanzierung. Derzeit wird das Projekt vor allem von den Herstellern der Gerinnungsfaktoren am Leben gehalten. Über die Mitgliedsbeiträge eines eigens gegründeten Vereins kommen jene 60.000 bis 70.000 Euro zusammen, die pro Jahr nötig sind.

Mondorf legt Wert darauf, dass es keine Bevorzugung bestimmter Hersteller gibt. "Es geht uns um ein arztgetriebenes Projekt, nicht um eine Marketingplattform." An die Krankenkassen sind die Ärzte auch herangetreten.

"Die wollten als erstes wissen, wo sie Geld sparen." Das konnte ihnen aber niemand versprechen. Zwar gibt es Patienten, die seit der digitalen Dokumentation eher weniger substituieren. Bei anderen Patienten wird es dafür eher mehr.

Die meist diskutierten Finanzierungsoptionen für die Telemedizin, die Finanzierung über die integrierte Versorgung und die Einführung einer EBM-Ziffer, sieht Mondorf komplementär.

"Es gibt IV-Verträge zur Hämophilie. Im Rahmen eines solchen Vertrags könnte man auch die Telemedizin abdecken." Für den ärztlichen Mehraufwand könnte er sich eine EBM-Ziffer vorstellen, ähnlich der qualitätsbezogenen Zusatzvergütung, die er als HIV-Therapeut für seine HIV-Patienten erhält.

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