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Greift das ePA-Konzept der Selbstverwaltung zu kurz?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die elektronischen Patientenakten im Konsens zwischen Kassen und Vertragsärzten in die Spur bringen. Eine Einigung scheint möglich, doch außerhalb der Selbstverwaltung gibt es deutliche Kritik.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Vielfalt oder Einheit? Wo die Reise in Sachen elektronische Patientenakte geht, ist umstritten.

Vielfalt oder Einheit? Wo die Reise in Sachen elektronische Patientenakte geht, ist umstritten.

© lucadp / Fotolia

BERLIN. Bei den elektronischen Patientenakten (ePA) herrschte bisher regulatorischer Wildwuchs. Mit dem Entwurf für ein Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) setzt das Bundesgesundheitsministerium jetzt allerdings die Axt an und will das Dickicht lichten. Krankenkassen sollen ihren Versicherten ab 2021 elektronische Patientenakten nach Paragraf 291a SGB V anbieten müssen.

Der Versicherte bestimmt, welche Daten enthalten sind und auch, wer sie sehen darf. Dieses gesetzliche Zielbild beinhaltet, dass sich KBV und GKV-Spitzenverband, aber auch die Krankenkassen untereinander, zu einem gemeinsamen Vorgehen durchringen. Zu diesem Zweck hat der Gesundheitsminister die KBV, große Krankenkassen und die gematik an einen Tisch geholt. Was dabei in Form eines "Memorandums" konsentiert wurde, sorgt seither für einige Aufregung.

Sollen Versicherte wählen dürfen?

Von niemandem in Frage gestellt wird das Ziel, derzeitige Gesundheitsakten (eGA) nach § 68 SGB V wie "Vivy" oder "TK-Safe" im Laufe der nächsten Jahre unter dem Dach der gematik zu Patientenakten nach § 291a zu vereinheitlichen. Sie sollen zunächst ärztliche Befunde, Notfalldaten, Diagnosen, Therapien, Medikationspläne, Impfungen und Labordaten enthalten und für den Versicherten mobil und ohne Kartenlesegerät zugänglich sein. Strittig ist, ob die Krankenkassen als alleinige Herausgeber der Akten fungieren sollen. Ist ein DAK- oder TK-Versicherter an die Vivy-Akte oder die Akte TK-Safe gebunden? Oder kann er eine andere Akte wählen, wenn sie ihm besser gefällt?

Teilen der Industrie sind die reinen "Kassenakten" ein Dorn im Auge. So betont etwa der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg), dass Wettbewerb verhindert werde, wenn die Krankenkassen Akten selbst entwickeln und nur diese auch bezahlen. Ein solches Modell sei "ein starker Eingriff in die freie Marktwirtschaft", so der bvitg.

Andere urteilen weniger harsch: "Wir sollten anerkennen, dass erst durch die Krankenkassen und ihre Partner aus der Wirtschaft Dynamik in das Thema Patientenakten gekommen ist. Aus unserer Sicht ist entscheidend, dass die Daten bei einem Wechsel der Krankenkasse problemlos in die neue Akte übernommen werden können und dass die Akten technisch so gestaltet sind, dass andere Akten, zum Beispiel spezialisierte Rheumaakten, angebunden werden können", betont Julia Hagen, Bereichsleiterin Health & Pharma beim Digitalverband Bitkom.

Der Vorstandssprecher des Bundesverbands Internetmedizin, Sebastian Vorberg, plädiert dafür, nicht nur über reine "Datensafes" zu reden, sondern auch zu berücksichtigen, dass die medizinische Versorgung künftig über Versichertenplattformen zunehmend digital organisiert werden wird.

Während der Versicherte bei der reinen Datenspeicherung nicht von seiner Krankenkasse abhängig sein sollte, mache eine starke Rolle der Krankenkassen bei den um die Akte herum zu bildenden digitalen Plattformen Sinn: "Aus unserer Sicht werden derzeit zu stark die Interessen einzelner Akteure betont. Das ist falsch, denn im Mittelpunkt sollte der Nutzen für den Patienten stehen"

Fachgesellschaften einbeziehen

Der zweite große Streitpunkt ist die Rolle der KBV bei der inhaltlichen Gestaltung der Patientenakten. Das Memorandum sieht vor, dass die KBV die Federführung bei den technischen und semantischen Anforderungen an medizinische Datenobjekte – EKG-Befunde, Blutdruckwerte, Labordaten – erhält. Das sei nicht zielführend, so Julia Hagen vom Bitkom, denn bei der KBV sei über Abrechnungsdaten hinausgehende Kompetenz zur Standardisierung kaum vorhanden.

Als Beispiel nannte sie das von der KBV entwickelte Informationsmodell für die Schnittstelle zum Praxis-IT-Wechsel nach § 291d SGB V, das selbst bei simplen medizinischen Daten wie dem Blutdruck ernsthafte Lücken habe. Um so etwas zu verhindern, sei ein Gremium nötig, in dem auch Fachgesellschaften, Industrie und Standardisierungsorganisationen maßgeblich vertreten sind. Hagen: "Diese Organisationen beschäftigen sich seit Jahren mit medizinischen Datensätzen. Das kann die KBV nicht im Alleingang".

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