Digitale Diabetesversorgung
Große Lücken, kleine Schritte
Diabetologen und ihre Patienten zählen zu den Vorreitern der Digitalisierung. Doch noch ist Sand im Praxisgetriebe. Bei der DiaTec 2019 in Berlin wurde klar, dass auch bei der digital gestützten Diabetesversorgung dringend einheitliche Standards nötig sind.
Veröffentlicht:BERLIN. Nicht zuletzt dank kontinuierlichem Blutglukosemonitoring und Flash Glukose Monitoring haben sich Softwarelösungen für ein digitales Glukosemanagement in diabetologischen Praxen mittlerweile etabliert. Die Realität ist freilich, dass jedes Messsystem seine eigene Software erfordert. Das lässt sich in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis mit entsprechend vielen Patienten managen. Es macht aber einen Einsatz derartiger Tools bei hausärztlichen Patienten ziemlich unrealistisch.
„Wir erwarten, dass hier politische Regelungen getroffen werden“, sagte der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Professor Dirk Müller-Wieland von der RWTH Aachen bei einem von Roche unterstützten Kamingespräch bei der Tagung DiaTec 2019 in Berlin. Nötig sei ein ernsthafter Dialog, bei dem Organisationen mit inhaltlicher Kompetenz wie die Fachgesellschaften eingebunden werden.
Standards werden nicht genutzt
„Das Problem ist nicht, dass es keine Standards gibt. Die existieren, und jeder kennt sie. Das Problem ist, dass sie in Deutschland nicht genutzt werden“, so Müller-Wieland.
Fehlende Standards betreffen zum einen die Interaktion zwischen unterschiedlichen Software-Lösungen und Patienten-Apps. Sie betreffen aber auch die Anbindung von Blutzuckermessgeräten, wie Lars Kalfhaus, Geschäftsführer von Roche Diabetes Care, betonte: „Roche arbeitet seit 15 Jahren im Continua-Konsortium mit, um Datenstandards um Kommunikationsprotokolle zu entwickeln, mit denen die Geräte interoperabel werden. Das war leider bisher nicht wirklich erfolgreich.“
Woran es hapert, ist die Nachfrage nach standardkonformen Messgeräten. Hier sahen die Diskutanten in Berlin eine wichtige Rolle der Politik: Wenn die Finanzierung von Glukosemonitoring oder auch von telemedizinischen Diabetesprojekten an die Nutzung von Geräten gekoppelt würde, die die Continua Design Guidelines (CDG) der Personal Connected Health Alliance (PCHA) erfüllen, dann könnte das die Hersteller zwingen, entsprechende Lösungen auch anzubieten.
Dass das keine Fiktion ist, zeigt Dänemark, wo Telemedizinprojekte im Rahmen der Regelversorgung nur dann möglich und erstattungsfähig sind, wenn die Geräte die entsprechenden Standards einhalten. Auch Österreich will sein telemedizingestütztes Disease Management, das auf der dortigen elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) realisiert werden soll, an Continua-Standards koppeln.
Für die Politik deutete Tino Sorge, Berichterstatter Digitalisierung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, an, dass die Relevanz des Themas erkannt worden sei. Mitte des Jahres wolle die Bundesregierung ein Digitalisierungsgesetz vorlegen, das dieses heiße Eisen angehe.
Telemedizin-Gesetz in Planung
Der „Letter of Intent“, bei dem Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband im September 2018 die Verantwortung für Standards bei der Patientenakte unter sich aufteilten, sei „suboptimal“, so Sorge. Ziel müsse es sein, Prozesse zu schaffen, bei denen nicht einzelne Akteure singulär Standards festlegten.
Sorge berichtete außerdem, dass sich ein eigenes Telemedizingesetz in Vorbereitung befinde, das Telemedizinanbietern einen besseren Marktzugang bringen soll. Das sei nicht zuletzt in frühen Stadien der Diabetesbetreuung relevant, wo telemedizinische Betreuungsprogramme in klinischen Studien zum Teil deutliche sekundärpräventive Effekte demonstrieren konnten, so Müller-Wieland.