Innovative Hilfsmittel
Gründliche GBA-Prüfung statt schnell auf die Liste
Im Streit um innovative Hilfsmittel hat das Bundessozialgericht die Kompetenzen des GBA gestärkt. Verbirgt sich hinter dem Hilfsmittel eine neue Methode, dürfen es die Kassen ohne GBA-Empfehlung nicht bezahlen.
Veröffentlicht:KASSEL. Wie rasch neue Hilfsmittel für die Patienten nutzbar sind, ist oft auch eine ethische Frage. Immer aber geht es um wirtschaftliche Interessen der Hersteller.
Für Arzneimittel ist dabei die gründliche Prüfung weitgehend unumstritten. Bei Hilfsmitteln boten das Hilfsmittelverzeichnis oder die freiwillige Kostenübernahme durch die Kasse im Einzelfall bislang Möglichkeiten, diesen zeitraubenden Weg zu umgehen.
Letzterem hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel nun enge Grenzen gesetzt. Nach zwei am Mittwoch verkündeten Urteilen dürfen die Kassen nicht mehr allein über derartige Hilfsmittel entscheiden, wenn sie "untrennbarer Bestandteil" einer neuartigen Behandlungsmethode sind (Az.: B 3 KR 6/14 R und B 3 KR 5/14 R).
In solchen Fällen muss zunächst der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Methode bewerten. Dass dies in der Regel rund drei Jahre dauert, ist nach Ansicht der obersten Sozialrichter hinzunehmen.
Eine gründliche Untersuchung durch das IQWiG und eine umfassende Beteiligung von Herstellern, Verbänden und weiterer Gruppen sei eben nicht in 14 Tagen zu machen, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Wenner.
Im ersten Fall ging es um eine neuartige Bewegungsschiene für Kniegelenke. Hier haben motorgetriebene Bewegungsschienen bereits ohne Prüfung durch den GBA Eingang in das Hilfsmittelverzeichnis gefunden.
Deutliche Unterschiede zum Üblichen
Die streitige neuartige Bewegungsschiene wird nicht durch einen Motor, sondern durch das andere, gesunde Bein angetrieben. Sie soll ein Bewegungstraining zuhause in Eigenregie ermöglichen. Dabei soll die Über-Kreuz-Bewegung mit dem anderen Bein einen zusätzlichen positiven Effekt haben.
Die Krankenkassen nahmen diese "CAM-Schiene" allerdings nicht in ihr Hilfsmittelverzeichnis auf. Mit seiner Klage wollte der Hersteller die Aufnahme erzwingen.
Im zweiten Fall verlangte ein diabeteskrankes Mädchen Kostenerstattung für ein Gerät mit neuartiger Zuckermessung im Unterhautfettgewebe. Bei Patienten, die zu Unterzuckerung neigen, können so bis zu acht Blutentnahmen und Blutzuckermessungen pro Tag entfallen.
Das Gerät ist zudem an eine Insulinpumpe gekoppelt. Bei drohender Unterzuckerung schaltet es die Pumpe automatisch ab und gibt gegebenenfalls ein Signal, dass der Patient etwas essen sollte.
Wie nun das BSG entschied, unterscheiden sich beide Hilfsmittel deutlich von dem bislang Üblichen: bei den Bewegungsschienen durch den abweichenden Antrieb und die geplante eigenständige Anwendung durch die Patienten, bei der Zuckermessung durch das neue Messverfahren im Fettgewebe.
Nutzen, Wirkungsweise, Risiken und Wirtschaftlichkeit der neuen Hilfsmittel seien noch nicht ausreichend geklärt. Es greife der "Methodenvorbehalt" zugunsten einer Prüfung durch den GBA.
Im Fall der Zuckermessung läuft diese bereits. Und nach bisheriger Einschätzung könnte das neuartige Messverfahren insbesondere für Diabetespatienten hilfreich sein, die Schwierigkeiten haben, eine aufkommende Unterzuckerung selbst zu erkennen.
Das sind insbesondere auch Kinder, die in der Selbstbeobachtung noch wenig geübt und in Kita oder Schule zudem stark abgelenkt sind. Auf der Negativseite steht allerdings das Risiko, dass diese Kinder dann nie ein Gefühl für die Selbstbeobachtung entwickeln und so lebenslang von einem fehlerlos arbeitenden Gerät abhängig werden.
Hersteller können selbst keine Prüfanträge stellen
Noch hat der GBA keine Empfehlung abgegeben. Dennoch stellt pikanter weise ausgerechnet die beklagte DAK seit Anfang Juli insulinpflichtigen Diabetes-Patienten ein neuartiges Gerät zur Messung im Unterhautfettgewebe zur Verfügung. Mit dem Hersteller Abbott hat sie einen entsprechenden Vertrag geschlossen.
Das Gerät ist zwar nicht an eine Insulinpumpe gekoppelt. Weil das BSG in seinem Urteil aber auf das Messverfahren abstellte, wird die DAK nun wohl überprüfen müssen, ob sie bis zu einer GBA-Empfehlung daran festhalten kann. Für die Bewegungsschiene verpflichtete das BSG den GKV-Spitzenverband, im GBA einen Prüfantrag zu stellen.
Als Konsequenz ist es zudem möglich, dass der Spitzenverband auch die motorgetriebenen Schienen von der Hilfsmittelliste nimmt und nun doch noch vom GBA bewerten lässt.
Eigene Prüfanträge können Hersteller beim GBA nicht stellen. Das ist insbesondere für Firmen problematisch, deren Geräte kleinere Patientengruppen versorgen, die - anders als etwa die Diabetiker - nicht eine Patientenvertreterin im GBA sitzen haben. Immerhin können sie beim GBA einen Antrag auf Erprobung stellen.
Dafür müssen sie aber einräumen, dass die von ihrem Gerät angewandte Methode noch nicht ausreichend untersucht ist. Gerade im Licht der neuen BSG-Rechtsprechung, scheint diese hohe Hürde überzogen.