Computer ersetzt Arzt

KI als Turbozündung für humanitäre Hilfe

Künstliche Intelligenz krempelt die Welt wie einst die Dampfmaschine um: Maschinen erstellen teilweise bessere Diagnosen als Ärzte. In armen Ländern könnte der PC den Arzt ersetzen; in reichen Mediziner entlasten.

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Programmiersprache: Komplexe Algorithmen könnten Ärzten helfen – oder gar ersetzen.

Programmiersprache: Komplexe Algorithmen könnten Ärzten helfen – oder gar ersetzen.

© zothen / Fotolia

GENF. Flucht, Angst, Hunger und dann kommen auch noch Fremde, die sie am Arm packen und das Messband anlegen: Für Flüchtlingskinder ist die erste Begegnung mit Helfern oft zusätzlich traumatisch. Aber der Armumfang wird in Krisengebieten millionenfach vermessen, um festzustellen, wie unterernährt die Kinder sind und welche Hilfe nötig ist.

Künstliche Intelligenz soll den Kleinen das künftig ersparen und gleichzeitig viel schnellere und akkuratere Erhebungen möglich machen. Wie dies und andere Ideen die humanitäre Hilfe revolutionären könnten, zeigen Erfinder und Experten diese Woche bei der Konferenz "Künstliche Intelligenz für gute Zwecke" in Genf.

Unterernährung am Gesicht erkennen

Das Unternehmen Kimetrica in Kenia hat ein Programm entwickelt, das den Grad von Unterernährung bei unter Fünfjährigen anhand von Fotos mithilfe computergesteuerter Gesichtserkennung ermitteln kann. "Es wurde schon erfolgreich mit Erwachsenen getestet, jetzt füttern wir das Modell mit Körpermessungen aus Kenia und Fotos, um es richtig zu trainieren", sagt die Kimetrica-Direktorin in Kenia, Anita Shah.

Die Innovationswerkstatt des UN-Kinderhilfswerk Unicef unterstützt das Projekt. Außerdem wird etwa im Irak getestet, ob Satellitenbilder Aufschluss über den Grad der Armut in einer abgelegenen Region liefern können. Die Computerprogramme könnten etwa auswerten, wie viele Leute elektrisches Licht haben, aus welchem Material Dächer sind, ob beim Haus Vieh gehalten wird.

Eine andere Überlegung ist, ob man aus Mobiltelefon-Nutzung etwas über Armut oder Dürre ableiten kann. Zum Beispiel, wie oft Telefonkarten aufgeladen werden, ob mehr SMS geschickt oder Gespräche geführt werden, ob das von Dorf zu Dorf verschieden ist, wie lang Gespräche sind und wie groß das Netzwerk der Kontakte.

Computer stellt Zusammenhänge her

"Das Tolle an künstlicher Intelligenz ist, dass man der Maschine nicht sagen muss, was genau sie analysieren soll", sagt Naroa Zurutuza, Datenwissenschaftlerin in Unicefs Innovationswerkstatt. Das Computerprogramm findet, wenn es mit genügend Daten gefüttert wird, von selbst Zusammenhänge heraus. Sie betont: es würden nur anonymisierte Daten verwendet, die Privatsphäre sei stets geschützt.

"Innovationen mit ungeheurer Schubkraft" hat Maurizio Vecchione im Visier. Er leitet den von Microsoft-Gründer Bill Gates finanzierten "Global Goods Fund" bei der Innovationsfirma Intellectual Ventures. Er will Technologielösungen für die ärmsten Menschen der Welt finden. Schwerpunkt ist der medizinische Bereich.

"In Entwicklungsländern fehlen Ärzte und Spezialisten. Wir haben uns gefragt: Kann man Entscheidungshilfen entwickeln, die Spezialisten ersetzen können?" Seine Antwort: ja. Ein Computer könne mithilfe künstlicher Intelligenz eingefütterte Daten verarbeiten und Diagnosen mindestens so präzise stellen wie ein Spezialist.

Es gebe schon Ultraschallgeräte, die an ein Handy angeschlossen werden können. Mit Vitalwerten wie Puls, Temperatur und Fotos könne ein Programm selbst einem rudimentär ausgebildeten Krankenpfleger in den meisten Fällen genügend Entscheidungshilfe für Diagnose und Behandlung bieten.

Arztersatz in armen Ländern?

"Auch in reichen Ländern werden 80 Prozent der Krankheitsfälle mit ziemlich einfachen Interventionen behandelt," sagt Vecchione. "Auch 80 Prozent der Patienten, die Spezialisten wie einen Kardiologen sehen, bekommen nur Medikamente." Es gebe schon Diagnoseprogramme, die bei Versuchen öfter richtig lägen als Topspezialisten.

Der Global Fund ist überzeugt, dass solche Programme die Gesundheitsversorgung in den ärmsten Ländern revolutionieren können – und womöglich auch in reichen Ländern. In Entwicklungsländern vergibt der Fonds die Lizenz umsonst, reichere müssen zahlen. Vecchione betont, dass in Entwicklungsländern dafür natürlich auch Strom- und Mobilfunknetze ausgebaut werden müssen.

"Natürlich ist Maschinenlernen nicht so simpel, dass man jede Menge Daten ins Smartphone lädt und es dann eine Lösung ausspuckt", sagt Vecchione. Die Grundinformationen, mit denen Computer gefüttert werden, um dann zu lernen, was aus den Daten zu schließen ist, müssten sehr präzise entwickelt werden. In vielen Bereichen fehle es auch einfach an genügend Daten, sagt Zurutuza. Manchmal seien Erkenntnisse aus Daten nicht auf die ganze Bevölkerung zu übertragen. Vecchione und Zurutuza sehen aber beide enormes Potenzial. (dpa)

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