Morbidität

Kassen zweifeln an Diagnosequalität

Schwere Vorwürfe der Kassen gegen die niedergelassenen Ärzte: Sie würden angeblich "übertrieben" Diagnosten stellen, um das Honorar zu steigern. Der GKV-Spitzenverband fordert deswegen eine Reform der Morbiditätsermittlung.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Mal eben eine Diagnose aufschreiben? So einfach ist es dann doch nicht.

Mal eben eine Diagnose aufschreiben? So einfach ist es dann doch nicht.

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BERLIN. Der GKV-Spitzenverband hat deutliche Zweifel an der Qualität der ärztlichen Diagnosen geäußert. "Auf Basis der von Ärzten aufgeschriebenen Diagnosen wäre die Anzahl der Diabetiker jährlich um acht Prozent gestiegen", sagte Dr. Manfred Partsch, Leiter der Abteilung Ambulante Versorgung beim GKV-Spitzenverband.

Die Daten des Robert Koch-Instituts belegten jedoch, dass der Anstieg nur knapp zwei Prozent betragen habe.

Zudem erhalte jeder vierte Patient mit einem chronischen Nierenversagen keine Dialyse, obwohl dies auf der Basis der von den Ärzten aufgeschriebenen Diagnosen eigentlich notwendig wäre. "Entweder wird jeder vierte Patient falsch behandelt oder vierte Diagnose ist falsch", so Partsch.

Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes ergänzte: "Es ist völlig inakzeptabel, wenn Diagnosen übertrieben aufgeschrieben werden, um mehr Honorar für die Ärzteschaft herauszuholen."

Es habe sich gezeigt, dass die von Ärzten selbst aufgeschriebenen Diagnosen keine geeignete Basis für die Steigerung der ärztlichen Vergütung seien. "Hier muss der Gesetzgeber neue Bedingungen schaffen", forderte von Stackelberg.

Zum Hintergrund: Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz aus dem Jahr 2009 wurde festgelegt, dass das Morbiditätsrisiko nicht mehr von den Ärzten, sondern von den Krankenkassen getragen werden muss.

Einkommen der Ärzte auf "Rekordniveau"

Aus Kassensicht liege das Problem darin, dass die Messung des Morbiditätsanstiegs allein auf den durch die Ärzte selbst kodierten Diagnosen und nicht auf einer unabhängigen Morbiditätsmessung beruhe, betonte Partsch.

Statt dessen sollte die Morbiditätsentwicklung künftig im Kern als Teil der demografischen Entwicklung erfasst werden, forderte von Stackelberg. Dies könnte durch weitere unabhängige Morbiditätskriterien ergänzt werden.

Neue Leistungen sollten selbstverständlich auch in Zukunft zusätzlich vergütet werden, sagte von Stackelberg. Vor allem müsse sich die Vergütung stärker am Behandlungsergebnis orientieren und nicht an denen vom Arzt aufgeschriebenen Diagnosen.

Das Einkommen der Ärzte liege inzwischen auf Rekordniveau - mit durchschnittlich 166.000 Euro brutto pro Arzt sogar weit über dem Durchschnitt der Bevölkerung, betonte von Stackelberg. Es fehle also nicht an Geld im System, ergänzte Partsch.

Es müsse die Frage gestellt werden, ob es dort ankomme, wo es sinnvoll eingesetzt sei. Die Arzteinkommen seien zum Beispiel sehr ungleich verteilt, so Partsch.

So läge das durchschnittliche Jahreseinkommen der technik-orientierten Praxen wie zum Beispiel der Radiologen (rund 330.000 Euro) deutlich höher als der Praxen der Hausärzte (138.000 Euro). Hausärzte seien jedoch oft der erste Ansprechpartner für Patienten.

Lesen Sie dazu auch: Ambulante Medizin: Kassen knöpfen sich die Einzelpraxis vor

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Kommentare
Anne C. Leber 04.03.201414:53 Uhr

Leserzuschrift von Dr. Manfred Grieger

Jetzt reibe ich mir verwundert die Augen. Ist das die Karnevalsausgabe der Ärzte Zeitung? Jetzt werden die Ärzte von Krankenkassenvertretern verdächtigt, übertriebene Diagnosen zu kodieren, um mehr zu verdienen. Hörten wir nicht noch vor wenigen Monaten aus dem gleichen Mund, wir würden durch zu weiches Kodieren den Krankenkassen große Summen aus dem Morbi-RSA des Gesundheitsfonds vorenthalten und sollten besser kodieren. Mit großem Aufwand und Zeit, die wieder für die Patientenversorgung fehlte, haben sich die Ärzte geschult und kodieren ihre Diagnosen nun richtig, und das ist auch wieder nicht richtig. Bei soviel „Wertschätzung“ durch Gesundheitspolitiker muss man sich nicht wundern, wenn niemand mehr den Arztberuf anstrebt.
Was jedoch Herr Partsch, den ich bisher noch für seine profunden Kenntnisse bewunderte, zur Diagnose von chronischen Nierenerkrankungen schreibt, zeigt lediglich platte Polemik, die einem Mann seines Kalibers unwürdig ist. Hätte er sich sachkundig gemacht, so wüsste er, dass es verschiedene Stadien der chronischen Niereninsuffizienz gibt, kodiert nach dem ICD-10 mit N18.1 bis N18.5. Dafür gibt es ganz klare Definitionen der Nierenfunktion über die GFR. Ob ein Mensch deswegen Dialysepatient ist, gibt die Diagnose aber nicht wieder, sondern das ist abhängig von klinischen Symptomen. Wir behandeln ja Gott sei Dank nicht Laborwerte, sondern Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern. Wird ein Patient auf die Dialyse vorbereitet, gibt es den ICD-Kode Z49.0, und wenn dann wegen urämischer Symptome die Dialyse notwendig ist, gibt es die Diagnosekodes Z49.1 oder Z49.2. Nur diese Kodes geben also die Dialysepflichtigkeit wider. Peinlich für Herrn Partsch. Bei uns im Rheinland bekäme er dafür die rote Pappnase und die Narrenkappe.

Dr. Manfred Grieger

Praxis für Nieren- und Hochdruckkrankheiten - Dialyse
Dr. med. Manfred Grieger
Arzt für Innere Medizin - Nephrologie
Werner Hahn
Arzt für Innere Medizin
Dr. med. Knut Kreuzer
Facharzt für Innere Medizin - Nephrologie
Siegfriedstr. 20
56727 Mayen
Zweigpraxis:
Ernestus - Platz 1
56626 Andernach

Anne C. Leber 04.03.201414:49 Uhr

Leserzuschrift von Volker Belwe

Das von Herrn Partsch vom GKV-Spitzenverband angeführte Beispiel für übertriebene ärztliche Diagnosen, jeder vierte Patient mit chronischem Nierenversagen erhalte keine Dialyse, obwohl laut Diagnose eigentlich erforderlich, ist eine Unverschämtheit und sicher wider besseres Wissen geäußert. Der ICD-Code N18.5 definiert als GFR <15 ml/min differenziert ja bewusst nicht zwischen Patienten mit Komplikationen, die schon bei dieser Schwelle Dialyse benötigen, und unkomplizierten Fällen, bei denen eine Überwachung ohne Dialyse bis zu einer GFR von 6-7 ml/min (IDEAL-Studie) keine Nachteile hat. Auffällig wäre eher der Arzt, der keine N18.5-Fälle ohne Dialyse hat. Die behauptete Kreativität bei Diagnosen kenne ich nur aus den Anrufen von Kassenvertretern mit der Bitte, diese und jene Diagnose bei bestimmten Patienten zu ergänzen, um höhere Zuweisungen für die Kasse aus dem Morbi-RSA zu erzeugen.

Volker Belwe,
Rosbach

Dr. Thomas Georg Schätzler 03.03.201413:37 Uhr

"Downcoding" geht zu Lasten der GKV-Kassen

Die GKV-Kassen profitieren doch beim „Upcoding“ von der Schwere und dem Umfang der Multimorbidität über den Risikostrukturausgleich!

Aber Johann-Magnus von Stackelberg scheint als stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes Bund (SpiBu) der Gesetzlichen Krankenkassen nicht viel von medizinischer Propädeutik zu verstehen Sonst wüsste er, dass die Prävalenz von Krankheiten, als die Angabe der Häufigkeit in einem u n s e l e k t i e r t e n demografischen Bevölkerungsquerschnitt etwas grundsätzlich anderes ist, als die Inzidenz von Erkrankungen in einem h o c h s e l e k t i e r t e n Bevölkerungsquerschnitt, der regelmäßig Haus- und Facharztpraxen aufsucht.

Die Binsenweisheit, dass in Arztpraxen und Krankenhäusern mit höchster Ereignis-Wahrscheinlichkeit h ä u f i g e r, m e h r und s c h w e r e r erkrankte Patienten vorzufinden sind, die Heilung Linderung, Palliation und Bewältigungsstrategien (coping) für ihre (Multi)-Morbiditäten suchen, ist offensichtlich noch nicht wirklich beim SpiBu angekommen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Christoph Schay 02.03.201421:44 Uhr

Zweifel an der Qualität der ärztlichen Diagnosen!

Zweifel habe ich am Sachverstand und der Kompetenz des GKV Spitzenverbandes, des AOK Spitzenverbandes des BKK Spitzenverbandes und aller regionalen und überregionalen Spitzenfunktionären der gesetzlichen Krankenkassen. Auch zu uns sind wiederholt Sachbearbeiter mit vorgefertigten Patientenlisten erschienen um im Sinne der Kassen zu verschlüsseln, DMP Fähigkeit zu überprüfen, Chronikerkomplexe anzusetzen etc. Alles um mehr Zuweisung aus dem Gesundheitsfond zu erhalten. Unsere Mehrarbeit wird dabei natürlich nicht vergütet. Es bleibt bei Diffamierungen und leeren Versprechungen.
Eine Anfrage an die KV, ob die Gesprächszeit mit den Sachbearbeitern, denn den Kassen per Honorarbescheid in Rechnung gestellt werden kann wurde natürlich von der Körperschaft nicht beantwortet.

Die Außendienstmitarbeitern der gesetzlichen Krankenversicherungen erhalten nun keine Termine mehr.

Weniger Aufregung und verbesserte Psychohygiene sind der Lohn.

Die Zahl an Ärztinnen und Ärzten nimmt zu und ist trotzdem ein knappes Gut. Der Druck lastet auf den Kassen und nimmt zu. Die Zeit ist unser Verbündeter wenn wir Ärztinnen und Ärzte (inkl.Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten) uns klug verhalten. Verhalten wir uns klug?

Dr. Matthias Zufall 02.03.201414:29 Uhr

Radiologen sorgen für Steigerung der Zahl der Diabetiker

...oder wie ist der Zusammenhang dieser verquirlen Denke zu verstehen?

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