Ambulante Medizin

Kassen knöpfen sich die Einzelpraxis vor

Viele Ärzte, ungleich verteilt - die Kassen kritisieren die Struktur der ambulanten Versorgung. Die Ärztschaft wehrt sich gegen Polemik. Die KBV wirft den Kassen eine "Flatrate-Mentalität" vor.

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Einzelpraxis - hat sie wirklich schon ausgedient?

Einzelpraxis - hat sie wirklich schon ausgedient?

© Klaus Rose

BERLIN. Immer mehr Ärzte, die immer mehr Geld verdienen - dennoch gebe es lange Wartezeiten für die Patienten: Der GKV-Spitzenverband hat die derzeitige Struktur der ambulanten Versorgung scharf kritisiert.

"Mit der bisherigen Konzentration auf die klassische Einzelpraxis konnten die Versorgungsprobleme bisher nicht gelöst werden", sagte Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.

Es müsste mehr Kooperationen und mehr Anstellungsmöglichkeiten angeboten werden. "Damit könnte jungen Ärzten der Weg in die Praxis und aufs Land erleichtert werden", so von Stackelberg. Zudem müsse Spezialisierung im Medizinstudium abgebaut werden und die Bezahlung der Allgemeinmediziner im Vergleich zu Fachärzten verbessert werden.

Im Jahr 2012 waren den Zahlen der Bundesärztekammer zufolge knapp 21.000 Ärzte in einer Praxis angestellt, 1993 waren es 5300. Die Zahl der hausärztlichen Praxisinhaber ist hingegen rückläufig. Im Jahr 2000 hatten etwa 59.000 Hausärzte eine eigene Praxis, 2012 waren es noch knapp 56.000.

"Gleichzeitig nehmen mit gut 60.000 so viele Hausärzte wie nie zuvor an der ambulanten Versorgung teil", betonte von Stackelberg. Allerdings sage diese Zahl nichts über das Arbeitsvolumen aus, räumte von Stackelberg ein. Es ließe sich nicht beziffern, wie viele Ärzte zum Beispiel in Teilzeit arbeiteten.

Montgomery: Kassen haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt

Insgesamt gebe es jedoch immer mehr Ärzte in der ambulanten Versorgung. 1990 waren es noch 92.289, im Jahr 2012 waren es 144.058. "Das ist ein Plus von 56,1 Prozent", betonte von Stackelberg.

Er kritisierte vor allem die Verteilung der Ärzte: "Es gibt Regionen, in denen es zu wenige Hausärzte gibt, und solche, in denen es sehr viel mehr Fachärzte gibt, als für eine gute Versorgung benötigt werden".

Wenn das Versorgungsniveau überall auf 100 Prozent angehoben werden sollte, fehlten zurzeit 1000 Hausärzte. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung spricht hingegen von 2600 unbesetzten Hausarztstellen.

BÄK-Chef Professor Frank Ulrich Montgomery betonte: "Wer immer noch versucht, mit der absoluten Zahl an Ärzten den Versorgungsmangel in Klinik und Praxis wegzureden, der hat die Zeichen der Zeit einfach nicht erkannt."

Mittlerweile müsste auch dem letzten Kassenfunktionär klar geworden sein, dass die tatsächlich zur Verfügung stehenden Arztstunden im Verhältnis zum gestiegenen Behandlungsbedarf entscheidend seien.

Auch KBV-Chef Dr. Andreas Köhler kritisierte den Kassen-Vorstoß scharf: "Das Problem des Ärztemangels ist in der Gesellschaft und in der Politik angekommen - nur nicht bei den Krankenkassen." Die Flatrate-Mentalität nach dem Kassenmotto "Viele Leistungen zum kleinsten Preis" müsse endlich der Vergangenheit angehören. (sun)

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Kommentare
Patric Gremmel-Rohwer 27.02.201422:09 Uhr

Kennt Herr von Stackelberg eigentlich "sein" KV-System?!

Wenn man die Ausführungen des Herrn von Stackelberg so liest, könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, er hätte noch nie einen HVM gesehen, geschweige denn mit gestaltet. Herr von Stackelberg scheint zu glauben, dass ein niedergelassener Hausarzt bereits deshalb Geld verdient, weil er seinen Kopf durch eine Kassenarztpraxis steckt. Und je mehr approbierte Köpfe durch eben solch eine Türe schauen, desto mehr Honorar muss Herr von Stackelberg zahlen. Von Budgetierung hat er wohl noch nie etwas gehört. Wenn sich zwei Niedergelassene um 1000 Patienten "streiten" bekommt trotzdem nicht jeder 1000 Patienten vergütet. Sondern jeder nur 500. Und wenn sich noch zwei niederlassen, bekommt jeder nur 250 Patienten vergütet. Immer vorausgesetzt, die genannte Anzahl an Patienten kommt auch zu dem jeweiligen Arzt. Da erschließt sich mir nicht wirklich, wie das bloße abstellen auf die Anzahl von Arzt-Köpfen eine zu teure Versorgung herbeiführt.
Mir drängt sich viel schlüssiger die Vermutung auf, dass die Vielzahl an Krankenkassen und die damit verbundenen Verwaltungskosten (z.B. die Vorstandsgehälter, etc.) eventuell (zu)viel Geld verschlingen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 27.02.201422:02 Uhr

Ärztemangel bei den Hausärzten vorprogrammiert!

Ich persönlich freue mich sehr, dass ich kurz vor seiner Demissionierung dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und Kollegen Dr. med. Andreas Köhler einmal uneingeschränkt zustimmen kann: „Die Aussagen der Kassenfunktionäre sind falsch“!

Denn unter http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Arztzahlstudie_03092010.pdf
findet sich mit dem prägnanten Titel:
"Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! - Studie zur Altersstruktur und Arztzahlentwicklung"
die 5. aktualisierte und komplett überarbeitete Auflage (Stand August 2010) des von mit hochgeschätzten Autors Dr. Thomas Kopetsch. Volkswirtschaftlich wohlbegründet wurde hier bereits vor 4 Jahren auf Entwicklungen hingewiesen, die aktuell vom Spitzenverband Bund (SpiBu) der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) immer noch fehlinterpretiert werden.

Hausärztliche Kernsätze von Dr. Thomas Kopetsch
A. Neue Bundesländer:
• "Durchschnittsalter aller Hausärztinnen/-ärzte 52,9 Jahre"
• "[Bis 2020] in den nächsten zehn Jahren – je nach Bundesland – [gehen] zwischen 38 % und 48 % aller Hausärzte in den Ruhestand"
• "Seit 1999 ist die Zahl der Hausärzte in den neuen Bundesländern bereits um ... 11,4 %, zurückgegangen"
• "24 % aller Hausärzte in den neuen Bundesländern [waren] im Jahre 2009 über 59 Jahre alt"
B. Gesamtes Bundesgebiet
• "im gesamten Bundesgebiet ... ist die Zahl der Hausärzte seit 2001 leicht gefallen"
• "Wie anhand der Tabelle deutlich wird, müssen ab diesem Jahr [2010] bis zum Jahr 2020 insgesamt 23 768 ausscheidende Hausärzte ersetzt werden"
• "Auf der Basis der prognostizierten Abgänge und der tatsächlichen Zugänge an Allgemeinmedizinern und Internisten lässt sich die Entwicklung des Bestandes an Hausärzten bis 2020 abschätzen. Demnach ist bundesweit mit einem Rückgang um knapp 7 000 Hausärzten zu rechnen, dies entspricht 13,3 %".

Auf die zunehmend desolate pädiatrische Versorgungssituation mit GKV-Vertragsärzten/-innen will ich hier gar nicht eingehen. Tatsache ist und bleibt, dass die GKV-Chefetage sich wie die drei Affen verhält, die sich Ohren, Augen und Mund zuhalten? Oh nein, der Mund des "SpiBu" bleibt leicht geöffnet, um heiße Luft von Medizin-bildungsfernen Schichten herauszulassen, welche ihre Krankenkassen-Verwaltungsarbeit bzw. volks- oder betriebswirtschaftliche Sichtweisen mit Patienten-Versorgungsrealität bei krankheits- und beschwerdeorientierter Anamnese, Untersuchung, Diagnostik, Beratung, Therapie, Heilung, Linderung und Palliation verwechselt.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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