Kirchentag Nürnberg
Kirchentag: Pflegende Angehörige besser unterstützen!
Nürnberg. Vertreter der Evangelischen Kirche halten die Unterstützung pflegender Angehöriger in Deutschland weiter für ein ungelöstes gesellschaftliches Problem. Beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg gab es erhebliche Zweifel, ob die aktuelle Pflegereform tatsächlich für Betroffene Entlastung bringt.
„Die jetzt verabschiedete Pflegereform ist vollkommen unzureichend“, sagte Maria Loheide, Mitglied im Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, am Freitag bei einer Veranstaltung des Kirchentags. Mit Blick auf die Situation von pflegenden Angehörigen werde nicht berücksichtig, dass jede Pflegesituation hochkomplex sei und es große Unterschiede bei den tatsächlichen Bedürfnisse der Betroffenen gebe.
Loheide würdigte die Tatsache, dass die Bereitschaft von Menschen, für pflegebedürftige Angehörige Verantwortung zu übernehmen, immer noch groß sei. Viele Betroffene kämen aber an ihre Grenzen und riskierten auf Dauer ihre Gesundheit. Pflegezeiten müssten stärker für die Rentenansprüche berücksichtigt werden, fordert sie. Außerdem müsse die berufliche Freistellung zur Pflege Angehöriger erleichtert werden. Sie plädierte für eine Lohnersatzleistung. Loheide: „Menschen, die Pflege und Fürsorge für andere übernehmen, leisten einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Gesellschaft.“
Frauen stehen im Regen
Der Sozial- und Kulturwissenschaftler Marc Gärtner wies darauf hin, dass in der professionellen Pflege 15 Prozent Männer beschäftigt sind, in der privaten Pflege sind es seinen Angaben zufolge 25 bis 30 Prozent. Es gebe durchaus Perspektiven, diese Zahl zu erhöhen, sagte er.
Britta Sembach, Journalistin und Buchautorin, meldete allerdings Zweifel an dieser Prognose an. Die gesellschaftlichen Strukturen mit Männern als Hauptverdienern und Frauen als Teilzeitbeschäftigen seien kaum aufzulösen: Sembach: „Im Regen stehen diejenigen, die für die Fürsorgearbeit beruflich zurückgesteckt haben: Und das sind Frauen.“ Die Politik verweise nur schulterzuckend auf die Gesetzeslage – und die sei aus frauenpolitischer Sicht inakzeptabel.
Die Lebensleistung von Frauen – Fürsorglichkeit und die Übernahme von Verantwortung für andere – müsse endlich anerkannt und sozial abgesichert werden. „Frauen sind nun mal anders als Männer, und es ist das weibliche Prinzip, das unsere Gesellschaft zusammenhält,“ so Sembach weiter.
Praxisbeispiel: Pflege-Pilot mit Ehrenamtlichen
Mit Blick auf eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gibt es inzwischen vielversprechende Konzepte. Davon zeigte sich Matthias Konrad von der Technischen Universität Nürnberg überzeugt, der die Initiative „OHMCare“ mit initiiert hat. OHMCare will Studierende, Beschäftigte und Lehrende an der TU entlasten, die für pflegebedürftige oder betagte Familienmitglieder verantwortlich sind. Sie stehen bei der Organisation ihres Alltags immer wieder vor großen Herausforderungen. OHMCare vermittelt mit Hilfe eines Angehörigenvereins eine stundenweise Betreuung der Pflegebedürftigen durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.
Die aufgewendete Zeit kann als sogenannter Entlastungsbetrag über die Pflegeversicherung abgerechnet werden. Alle Ehrenamtlichen werden gemäß Sozialgesetzbuch für die „Unterstützung im Alltag“ (§ 45a SGB XI) geschult.
Bei der Diskussion auf dem Kirchentag, der am Sonntag zu Ende geht, gab es keinen Zweifel: Pflegende Angehörige müssen besser unterstützt werden. Das ist und bleibt auch in Zukunft eine große gesundheitspolitische Herausforderung