Blick in die Zukunft
Landkliniken auf der Kippe
Mehr als jede 20. Klinik auf dem Land geht nach eigener Einschätzung davon aus, im Jahr 2020 nicht mehr zu existieren. Andere rüsten sich schon jetzt für einen harten Überlebenskampf. Eine Bestandsaufnahme.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Die rund 600 Krankenhäuser auf dem Lande spielen in Deutschland in vielerlei Hinsicht eine zentrale Rolle. Ohne sie wäre eine Notfallversorgung kaum zu organisieren. Und mit einer soliden Grund- und Regelversorgung sichern sie derzeit ein noch überwiegend wohnortnahes Angebot für die Bevölkerung.
Sie schließen die Lücken im ambulanten Bereich. Gleichzeitig ist ein Krankenhaus in ländlichen Gebieten meistens auch der größte Arbeitgeber und der größte Wirtschaftsfaktor.
Insofern haben diese Kliniken für die Gemeinden und Kommunen auch eine sozial-wirtschaftliche Bedeutung. Damit schafft ein Krankenhaus in ländlichen Gebieten Arbeitsplätze und Kaufkraft, die für die Region häufig unverzichtbar sind. So weit, so gut.
Doch die Idylle trügt, vielen Häusern steht eine harte Zeit des Umbruchs bevor, wollen sie 2020 noch existieren. Dies prognostiziert, wie kurz berichtet, die gemeinsam von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO und dem Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) erstellte Studie "Ländliche Krankenhausversorgung heute und 2020".
Die Studie geht dabei von folgendem Hintergrundszenario aus: Seit etlichen Jahren lasteten der Kostendruck und die unzureichende Investitionsfinanzierung auf den Häusern, die eine so wichtige Funktion in der Region einnähmen. Ein teilweise über mehr als zehn Jahre aufgebauter Instandhaltungs- und Investitionsstau habe heute überwiegend marode Baustrukturen zur Folge.
Kaum Rationalisierungspotenzial
Die sich stetig weiter öffnende Kosten-Erlös-Schere habe zudem dafür gesorgt, dass sämtliche Rationalisierungspotenziale ausgeschöpft seien. Oftmals müssten aus wirtschaftlichen Gründen bereits Abteilungen geschlossen werden - konkret habe es meistens die geburtshilflichen und pädiatrischen Abteilungen getroffen.
Auch die demografische Entwicklung in den ländlichen Gebieten verschärfe zunehmend die Probleme der Krankenhäuser. Spürbar zeigt sich dies laut Studie in einer teilweise drastischen Überalterung der Patienten, die oftmals multimorbide seien und mit zunehmender Häufigkeit pflegeaufwändige Begleiterkrankungen aufwiesen, wie zum Beispiel Demenz.
Als weitere Herausforderung komme ein wachsender Fachkräftemangel, insbesondere beim ärztlichen Personal, hinzu, der die Landkliniken mit besonderer Härte treffe. Durch eingeschränkte Weiterbildungsermächtigungen und die Konzentration auf die reine Grund- und Regelversorgung seien diese nur bedingt attraktiv für junge Fachkräfte.
Wie dramatisch sich die wirtschaftliche Situation der Kliniken auf dem Lande darstellt, zeigt sich anhand der laut BDO und DKI repräsentativen Befragung von 120 entsprechenden Einrichtungen. Demnach wiesen 44 Prozent der ländlichen Krankenhäuser in Deutschland im Jahr 2013 Verluste aus.
Ihre aktuelle wirtschaftliche Situation im Herbst 2014 beurteilten demnach 45 Prozent der Häuser als eher unbefriedigend. Für 2015 erwarteten 41 Prozent eine weitere Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage.
Marktbereinigung antizipiert
Nach eigener Einschätzung rechneten die im Fokus stehenden Kliniken auf dem Lande bis zum Jahr 2020 mit einer Marktbereinigung. Konkret gingen sechs Prozent der Befragten - allesamt Häuser mit weniger als 200 Betten - davon aus, dass ihr Standort in etwas mehr als fünf Jahren nicht mehr existent sein werde.
Weitere zehn Prozent der Krankenhäuser erwarteten bis 2020 die Schließung von Fachabteilungen - allen voran der Gynäkologie und Geburtshilfe.
Als wichtigste Entwicklung bis dahin erwarteten die Einrichtungen vor allem eine noch stärkere Beteiligung an der ambulanten ärztlichen Versorgung in ihrer Region (63,3 Prozent), gefolgt von einer verstärkten Kooperation mit anderen Kliniken (54,2 Prozent).
Deutlich abgeschlagen auf Platz drei steht mit 36,7 Prozent die stärkere Spezialisierung, gefolgt von der sektorübergreifenden integrierten Versorgung mit anderen Leistungserbringern (32,5 Prozent). Eine Fusion mit anderen Kliniken prognostizieren 17,5 der Befragten.
Die größten Zukunftsherausforderungen für die ländlichen Krankenhäuser bilden laut Untersuchung der Erhalt respektive die Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit, der Erhalt der Investitionsfähigkeit und der sich verschärfende Fachkräftemangel.
Regional unterschiedlich große Herausforderung
Bei genauerer Betrachtung stellt sich der Erhalt von Kliniken im ländlichen Raum als regional unterschiedliche Herausforderung dar. Bezogen auf die insgesamt 607 als ländlich definierten Kliniken gibt es mit 161 die meisten Einrichtungen in Bayern (27 Prozent), gefolgt von 93 Häusern in Niedersachsen (15 Prozent). Für die übrigen Bundesländer liegen die Anteile im einstelligen Prozentbereich.
Ein anderes Bild resultiert, wenn man den Anteil der ländlichen Krankenhäuser an den Allgemeinkrankenhäusern pro Bundesland ermittelt.
Demnach fällt, wie der Studie zu entnehmen ist, insbesondere der Anteil der ländlichen Krankenhäuser in den neuen Bundesländern - Mecklenburg-Vorpommern (97 Prozent), Thüringen (90 Prozent), Brandenburg (86 Prozent), Sachsen-Anhalt (76 Prozent) und Sachsen (69 Prozent) - vergleichsweise hoch aus.
In den alten Bundesländern falle der Anteil ländlicher Kliniken in Schleswig-Holstein mit 67 Prozent am höchsten aus. Darüber hinaus sei in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz etwa jedes zweite Allgemeinkrankenhaus in ländlichen Regionen angesiedelt.
Neben den Stadtstaaten und dem Saarland, die gemäß der Amtlichen Raumordnung über keine ländlichen Regionen verfügen, falle der Anteil der Landkliniken vor allem in den großen Flächenländern Nordrhein-Westfalen (5 Prozent) und Baden-Württemberg (15 Prozent) vergleichsweise gering aus.
Gesundheitspolitische Forderungen
Für eine angemessene Gesundheitsversorgung auf dem Lande seien nach Ansicht der Landkliniken umfassende gesundheitspolitische Reformen notwendig. Am dringlichsten erscheint ihnen laut Studie die Auflösung der Grenzen ambulant-stationär (55,8 Prozent), gefolgt von gesundheitspolitischen Strukturmaßnahmen (55 Prozent) sowie der Aufhebung des KV-Sicherstellungsmonopols (50,8 Prozent).
Weit abgeschlagen mit 23,3 Prozent steht der Ruf nach Klinikfusionen oder -kooperationen zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit. 15 Prozent fordern gar aktiv Krankenhausschließungen.
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