Pfleger auf der Anklagebank
Mord mit Insulin: Prozess startet
München. Vor dem Landgericht München I hat am Dienstag der Prozess gegen einen polnischen Hilfspfleger wegen sechsfachen Mordes und dreifachen versuchten Mordes begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 38 Jahre alten Mann vor, er habe seinen pflegebedürftigen Patienten an verschiedenen Tatorten in Deutschland Insulin gespritzt, das als Überdosis tödlich sein kann. Er soll über das Medikament verfügt haben, weil er – im Gegensatz zu seinen Opfern – Diabetiker ist.
Die Morde soll der Mann laut Anklage quer durch Deutschland begangen haben: in den bayerischen Orten Ottobrunn, Eckenthal und Wiesenbronn ebenso wie in Hannover, im schleswig-holsteinischen Burg und in Spaichingen in Baden-Württemberg. Versuchte Morde werden ihm angelastet in Mülheim an der Ruhr, in Esslingen und in Weilheim in Oberbayern.
Staatsanwaltschaft sieht Heimtücke
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann krasse Eigensucht, rücksichtsloses Gewinnstreben und völlige Gleichgültigkeit vor.Die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl wandte sich daraufhin direkt an den Angeklagten: „Sie können es sich anders überlegen – jederzeit.“
Laut Anklage war der Mann von Mai 2015 an in mehreren Haushalten in Deutschland als Hilfspfleger tätig - zuständig für die 24-Stunden-Betreuung alter Menschen. Pflegen, so sieht es die Staatsanwaltschaft, wollte er aber nie. Ihm sei es darauf angekommen, sich durch die Begehung von Diebstählen in den Häusern seiner Opfer zu bereichern, so die Staatsanwältin.
Als Motive für die Morde nimmt die Staatsanwaltschaft an, dass der Mann mit seiner Arbeit nicht zufrieden war, weil er sie entweder zu anstrengend fand – oder weil er das Haus wegen der permanenten Anwesenheit von anderen Pflegekräften oder Familienangehörigen nicht in Ruhe nach Wertgegenständen durchsuchen konnte. Er habe den Haushalt wechseln wollen, ohne mit einer Vertragsstrafe seiner Agenturen rechnen zu müssen – und seinen wehrlosen Patienten darum Insulin gespritzt.
Heimtücke und Habgier?
„Er stellte dabei seine eigenen Bedürfnisse und sein rücksichtsloses Gewinnstreben in krasser Eigensucht über das Lebensrecht des Geschädigten“, heißt es in der Anklage. Das Leben seines Patienten sei „dem Angeklagten dabei völlig gleichgültig“ gewesen. Die Anklage geht von Heimtücke, Habgier und niedrigen Beweggründen aus.
Neben den sechs Mordfällen sind drei Fälle des versuchten Mordes angeklagt und drei Fälle von gefährlicher Körperverletzung. Zusätzlich wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Raub und Diebstahl vor. Er soll beispielsweise so profane Dinge wie Wein, Waschmittel, Toilettenpapier und Klobürsten gestohlen haben.
Der Prozess erinnert an den spektakulären Fall des Patientenmörders Niels H., der im vergangenen Jahr vom Landgericht Oldenburg wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Das Münchner Gericht hat bis Ende Mai 2020 insgesamt 39 Verhandlungstage angesetzt.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert bessere staatliche Kontrolle von Pflegern. „Gerade im häuslichen Umfeld, wird es Mördern in der Pflege zu leicht gemacht“, sagt Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Denn Sterben kommt hier nicht unerwartet.“ Seiner Ansicht nach „fehlen flächendeckende Anstrengungen, um solche Einzeltäter zukünftig frühzeitig zu stoppen“.
Länderübergreifende Zusammenarbeit gefordert
Er forderte, Schwerpunktstaatsanwaltschaften und zentrale Ermittlungsgruppen für Delikte in Pflege und Medizin in allen Bundesländern einzurichten und Todesfälle in der Pflege grundsätzlich von einem Amtsarzt untersuchen zu lassen. „Eine länderübergreifende Zusammenarbeit muss Pflicht sein“, sagte Brysch. Er betonte aber auch: „Ohne die Hunderttausenden 24-Stunden-Pflegekräfte aus Osteuropa könnte das deutsche Pflegesystem nicht funktionieren.“ Der Großteil dieser Kräfte arbeite sehr engagiert. (dpa)