CIRS

Oft überwiegt die Angst

Interne Berichts- und Lernsysteme ("CIRS") sind Pflicht in jeder Klinik. Sie werden von den Mitarbeitern aber unterschiedlich stark genutzt. Oft ist die Resonanz mau. Ein Grund dafür: Angst, vom Arbeitgeber für Fehler belangt zu werden.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Das richtige Medikament in der richtigen Dosierung am richtigen Patienten? – Fehler sind schnell gemacht. In Kliniken können sie gleich schwere Folgen haben. Ein System zur Meldung von Beinahe-Fehlern ist deshalb unabdingbarer Bestandteil der Qualitätssicherung.

Das richtige Medikament in der richtigen Dosierung am richtigen Patienten? – Fehler sind schnell gemacht. In Kliniken können sie gleich schwere Folgen haben. Ein System zur Meldung von Beinahe-Fehlern ist deshalb unabdingbarer Bestandteil der Qualitätssicherung.

© Klaus Rose

BERLIN. Diese Op vor gut 20 Jahren geht der Krankenschwester nicht aus dem Kopf. Noch immer geht der Puls hoch, wenn sie an diesen schrecklichen Tag denkt.

Ihr passierte, wovor sie sich stets gefürchtet hatte: Sie verwechselte die Flasche Formaldehyd mit der völlig gleich aussehenden Flasche Wasserstoffperoxid.

Erst, als das Formaldehyd schon auf dem Op-Bereich war, merkten alle aufgrund des Geruches die Verwechslung. "Der Patient war eh sterbenskrank, wegen der Verwechslung ist er wahrscheinlich ein bisschen früher gestorben", erzählt die blonde Frau, die anonym bleiben will.

Was sie nach so vielen Jahren immer noch wurmt: Vor dem verhängnissvollen Tag hatte sie selbst wiederholt auf die Verwechslungsgefahr hingewiesen, hatte darauf gedrängt, dass die beiden Flüssigkeiten in unterschiedliche Flaschen mit unterschiedlichen Etiketten umgefüllt werden.

"Aber nichts ist passiert", ärgert sich die Frau heute noch. Aufgrund der schlimmen Erfahrung ist ihr bewusst, wie wichtig ein internes Berichts- und Lernsystem ist. Wer weiß: Hätte es ein solches an der Klinik damals gegeben, vielleicht wäre ihre Anregung dann nicht auf taube Ohren gestoßen.

CIRS ist Pflicht

Inzwischen kümmert sich die Krankenschwester an einem kleinen Krankenhaus "mit familiärer Struktur" um den Aufbau eines CIRS.

Seit 2014 verpflichtet eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses alle Krankenhäuser, ein CIRS als Bestandteil des Risiko- und Qualitätsmanagements einzurichten.

Manche Häuser arbeiten damit schon seit Jahren, manche sind gerade erst mit dem Aufbau beschäftigt.

Ein CIRS soll es Mitarbeitern ermöglichen, Beinahe-Schäden zu berichten. Ziel ist es, aus den Fehlern, die zu diesen Beinahe-Schäden geführt haben, zu lernen und Arbeitsabläufe, Strukturen oder Organisation entsprechend zu verbessern.

Doch in vielen Kliniken, die ein CIRS bereits installiert haben, wird das System teilweise kaum genutzt. Von 600 Berichten pro Jahr bis nur sechs Meldungen jährlich reicht die Spanne, von der Teilnehmer des Berliner CIRS-Symposions, veranstaltet von der Ärztekammer, berichteten.

Selbst an der Uniklinik Rotterdam, mit 13.000 Mitarbeitern und 28.000 Op jährlich das größte Universitätskrankenhaus der Benelux-Länder, gibt es über CIRS nur 10.000 Rückmeldungen im Jahr.

"Die Zahl müsste viel höher sein, bei allem was wir tun", sagte Dr. Markus Klimek, Vorsitzender der zentralen Inzidenzienkommission der Uniklinik Rotterdam.

Feedback besonders wichtig

Besonders wichtig für die Akzeptanz eines Berichts- und Lernsystems bei den Mitarbeitern ist nach Aussage von Professor Tanja Manser, Direktorin des Instituts für Patientensicherheit an der Uni Bonn, dass zum einen die Führungskräfte CIRS unterstützen, zum anderen aber auch die Mitarbeiter Rückmeldungen erhalten, was aus der Fehlermeldung geworden ist.

"Vor allem Ärzte wollen wissen, ob die Maßnahmen, die aufgrund einer Meldung vorgenommen wurden, wirklich besser sind für die Patienten und ob sie spürbar im Arbeitsalltag sind", so Manser.

Besonders einrichtungsübergreifende Lernsysteme in großen Häusern müssten darauf achten, das Feedback an die Person oder Einrichtung zurückzugeben, von der die Meldung über einen Beinahe-Schaden kam.

Auf dem Symposion wurde auch deutlich, dass Klinikmitarbeiter oft Angst vor Sanktionen durch den Arbeitgeber haben und deshalb CIR-Systemen reserviert gegenüberstehen.

Rechtsanwalt Rolf-Werner Bock von der Kanzlei Ulsenheimer & Friedrich betonte, dass nach dem Sozialgesetzbuch jeder, der im CIRS einen Fehler meldet, in der Regel sanktionsfrei bleibe und keine rechtlichen Nachteile, also auch keine disziplinarischen Maßnahmen durch den Arbeitgeber, erfahren dürfe.

Stellt sich allerdings heraus, dass der Meldende selbst wiederholt beträchtliches Fehlverhalten an den Tag legt, muss es nach Ansicht des GBA möglich sein, dieses arbeitsrechtlich zu sanktionieren.

Dasselbe gilt für Fehlverhalten oder vorsätzliches Handeln derjenigen, über die berichtet wird. Wird etwa über Gewalt an Patienten berichtet, "ist dem nachzugehen", so Bock.

Ebenso ist es Kliniken auch erlaubt, ausgehend von CIRS-Meldungen die Arbeit eines Arztes zu durchleuchten.

Die Diskussionen um die Sanktionsfreiheit zeigten deutlich, dass Meldungen über Schäden an Patienten - anders als Beinahe-Schäden - nicht in das interne Lern- und Berichtssystem gehören.

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