Psychiater berichtet

Pfleger gesteht Tötung von 30 Patienten

Überraschung im Prozess gegen Niels H. Der wegen Mordes angeklagte Pfleger hat offenbar einem Psychiater gestanden, 30 Patienten getötet zu haben - womöglich auch aus Langeweile.

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OLDENBURG. Mord an 30 Patienten? Der ehemalige Krankenpfleger Niels H. hat einem psychiatrischen Gutachter gegenüber zugegeben, in den Jahren 2003 bis 2005 genau 90 Patienten überhöhte Dosen Gilurytmal gespritzt zu haben.

30 Menschen auf der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst haben H.s Taten nicht überlebt. Das berichtete der psychiatrische Gutachter des Angeklagten in dem Prozess gegen ihn vor dem Oldenburger Landgericht. Derzeit steht H. wegen dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuches vor Gericht.

Alle 30 Fälle "haben nach Angaben des Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen im Klinikum Delmenhorst stattgefunden. An die meisten Namen der betroffenen Patienten könne er sich zu seinem Bedauern nicht erinnern.

Der Angeklagte hat nach Angaben des Sachverständigen ihm gegenüber jedoch bestritten, an seinen anderen Arbeitsstätten Menschen geschadet zu haben", teilt die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit.

Sie spricht von 30 vollendeten Tötungsdelikten. H. hatte auch in Oldenburg und Wilhelmshaven gearbeitet.

Angehörige sind geschockt

Die Angehörigen der Toten, die zum Teil als Nebenkläger in dem Prozess auftreten seien "zum Teil erleichtert, zum Teil geschockt über die Angaben H.s", sagt Gaby Lübben, Anwältin der Nebenklage. "Denn jetzt ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Familien unter den vom Verbrechen Betroffenen sind."

"Ein Geständnis ist das noch nicht", erklärt Gerichtssprecher Michael Hermann der "Ärzte Zeitung". Bisher hat der Angeklagte während des Prozesses geschwiegen. "Jetzt will er seine Worte aber vor Gericht wiederholen." Das psychiatrische Gutachten liegt noch nicht vor.

Der Gutachter hatte vor Gericht lediglich von der Befragung des Angeklagten berichtet. Das Gutachten dient dazu, die Schuldfähigkeit des Angeklagten zu beurteilen.

Ob das mögliche Geständnis des Angeklagten dann der Wahrheit entspricht, wird man noch nicht beurteilen können. "Wenn Niels H. gestanden hat, dann muss die Sonderermittlungsgruppe ,Kardio‘ der Oldenburger Polizeidirektion versuchen, die Angaben zu verifizieren", erklärt Lübben. H. kann nur für derart nachgewiesene Verbrechen angeklagt werden.

Die Anwältin rechnet damit, dass H. mehr Menschen getötet hat, als er nun offenbar zugegeben hat. "Wir gehen davon aus, dass das Ausmaß viel größer ist", sagt Lübben der "Ärzte Zeitung" und verweist auf die statistischen Werte, die dem Gericht vorlägen.

"Während der Anwesenheit von H. auf der Station hat sich die Todesrate verdoppelt und der Verbrauch von Gilurytmal versechsfacht", so Lübben.

Unterdessen weitet die Staatsanwaltschaft die Untersuchungen aus. "Im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels H. hat die Sonderkommission ,Kardio‘ der Polizeidirektion Oldenburg festgestellt, dass Niels H. neben seiner Tätigkeit in einem Altenheim in Wilhelmshaven im Jahr 2008 auch Einsätze im Rettungsdienst begleitete", teilte die Staatsanwaltschaft am vergangenen Mittwoch mit.

Also wird auch hier weiter ermittelt. Auch aus seiner Zeit im Klinikum Oldenburg wurden Akten überprüft. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft untersuche sie mehr als 170 Fälle auf mögliche Tötungsdelikte.

Zu spät auf Hinweise reagiert?

Neben dem Angeklagten sieht sich die Staatsanwaltschaft Oldenburg selbst Beschuldigungen gegenüber. "Sie hätte bereits 2005 auf Hinweise aus dem Klinikum reagieren und Leichen exhumieren müssen, um Beweise zu sichern", so Lübben, "das hat sie nicht getan".

Deshalb hat die Oldenburger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen zwei ehemalige Mitarbeiter wegen "Totschlags durch Unterlassen" angestoßen.

"Wir fühlen uns durch die Angaben H.s bestätigt", sagt Lübben, "die Staatsanwaltschaft hätte viel früher reagieren müssen."

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