Hintergrund
Richter entscheiden: Niemand muss Ärztin bezahlen
Eine Notärztin aus München hat jahrelang Patienten bei Verlegungsfahrten begleitet - doch am Ende wollte niemand dafür zahlen. Das muss auch keiner, urteilte jetzt das Bundessozialgericht.
Veröffentlicht:Wenn zwei Gerichtsbarkeiten sich streiten, zahlt am Ende niemand. Eine Allgemeinärztin und Notärztin aus München hat das schmerzlich erfahren.
Sie war in den Jahren 2002 und 2003 häufig mit dabei, wenn eine Verlegung eines Patienten von einer Münchener Klinik in die andere zwar nicht einen teuren IntensivRettungswagen erforderte, wohl aber ärztliche Begleitung.
Leistung wurde früher honoriert
Früher bekam sie diese Leistung honoriert: Mal zahlten die Krankenkassen, mal die verlegende Klinik. Doch das änderte sich mit den pauschalen Krankenhausvergütungen.
Nun seien die Verlegungskosten generell in den Fallpauschalen der Kliniken enthalten, meinte die AOK Bayern, die zuvor noch für die Honorare aufgekommen war. Seit Ende 2001 bezahlte die Kasse die Ärztin nicht mehr.
Honorare belaufen sich auf 15.000 Euro
Bis August 2003 setzte sich die Ärztin weiter mit in den Krankenwagen - zuversichtlich, irgendjemand werde schon zahlen. Honorare von über 15.000 Euro liefen auf.
Doch in einem jahrelangen Rechtsstreit wurde diese Hoffnung enttäuscht. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) steht nun fest: Niemand zahlt.
Kein wirksamer "Dienstvertrag" zustande gekommen
Die Vorgeschichte: Nach der Ablehnung durch die AOK Bayern richtete die Ärztin ihre Forderungen zunächst an zwei Münchner Kliniken. Doch im September 2004 wies das Landgericht und im Juni 2005 auch das Oberlandesgericht (OLG) München die Klage ab.
Es sei kein wirksamer "Dienstvertrag" zustande gekommen, auf den die Ärztin ihre Honorarforderungen stützen könne.
Transportunternehmen hat Ärztin angefordert
Denn nicht die jeweilige Klinik, sondern das Transportunternehmen habe die Ärztin für die Verlegungsfahrten angefordert. Der früheren Vergütungspraxis folgend hatte dieses Unternehmen allerdings Honoraransprüche vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Patienten und in der Folge die Ärztin, so das OLG, hätten "einen Anspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse".
Auch kein Honoraranspruch gegen die AOK
So folgte die Ärztin dem Rat und machte ihre Honorarforderungen gegen die AOK Bayern geltend. Zuständig sind hier die Sozialgerichte. Doch vom Sozialgericht München bis hin zum BSG waren sich diese einig: Ein Honoraranspruch gegen die AOK besteht nicht.
Dass zwei Parteien als Gegner einer Forderung in Betracht kommen, ist durchaus nicht unüblich. Etwa wenn der Geschädigte eines Autounfalls nicht genau beobachten konnte, wer von den zwei Personen, die aus dem anderen Wagen gestiegen sind, nun der Fahrer war.
AOK den Streit verkündet
Das Zivilrecht hält hier eine Lösung parat: Der Geschädigte verklagt einen der Autoinsassen, verkündet aber auch dem anderen den Streit. Dieser "Streitverkündete" ist so mit im Verfahren; er kann sich mit eigenen Mitteln wehren, ist aber an die Kernaussagen der Gerichte ebenfalls gebunden.
Genau so sind hier nun auch die Anwälte der Ärztin vorgegangen: In dem Verfahren gegen die Kliniken haben sie auch der AOK den Streit verkündet.
Kann ein zivilrechtliches Urteil auch die Sozialgerichte binden?
Völlig umstritten war aber bislang, ob sich dies auch über die Grenzen der Gerichtszweige auswirken kann, erklärt Andreas Staufer, Fachanwalt für Medizinrecht in der Münchner Kanzlei Finck und Partner, der die Ärztin vor dem BSG vertreten hat. Sprich: Kann ein zivilrechtliches Urteil auch die Sozialgerichte binden?
Der Erste BSG-Senat unter Vorsitz des Präsidenten Peter Masuch hat eine solche sogenannte Interventionswirkung nun im Grundsatz für möglich gehalten. Allerdings: Wie auch innerhalb der Zivilgerichte selbst beziehe sich diese nur auf die tragenden Gründe eines Urteils.
Sozialgerichte sind nicht daran gebunden
Genau das wurde nun der Ärztin zum Verhängnis: Die Meinung des OLG zur Zuständigkeit der Krankenkassen seien "überschießende Ausführungen" abseits der tragenden zivilrechtlichen Urteilsgründe gewesen.
Daran seien die Sozialgerichte daher nicht gebunden. Und so konnte nach den Vorinstanzen auch das BSG entscheiden: Die AOK muss nicht zahlen.
Rechtsgeschichte geschrieben
"Die Klägerin hat Rechtsgeschichte geschrieben - aber letztlich leider nicht zu ihren Gunsten", sagte Staufer nach der Urteilsverkündung in Kassel.
Rechtsanwälte würden künftig in Zivilverfahren wohl häufiger auch den Krankenkassen oder anderen Sozialträgern den Streit verkünden - in welchen Fällen, lasse sich allerdings noch kaum übersehen.
Immerhin hatte der Streit Konsequenzen in Bayern: Seit 2008 sieht das Rettungsdienstgesetz dort einen "Verlegungsarzt" vor. Diesen bezahlen die Krankenkassen.
BSG, Az.: B 1 KR 4/11 ROLG München, Az.: 8 U 5066/04