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Von Behring zu BioNTech – Impfstoff-Hoffnung auf historischem Grund
Das Unternehmen BioNTech will mit seinem neuen Werk in Marburg die Corona-Impfstoffproduktion bald massiv erhöhen – und die lange Geschichte der hessischen Stadt als Pharma-Standort fortschreiben.
Veröffentlicht:Marburg/Mainz. Der Ort, auf dem in der Corona-Pandemie große Hoffnungen ruhen, liegt in einem engen Tal am Rande Marburgs. Abermillionen Impfstoffdosen will das Mainzer Unternehmen BioNTtech dort künftig herstellen. Noch läuft der dafür nötige Umbau in dem vor wenigen Wochen übernommenen Pharma-Werk. Doch nächsten Monat soll die Produktion anlaufen.
Angesichts der generell noch knappen Impfstoffmengen und der riesigen Nachfrage baut nicht zuletzt die Politik darauf, dass mit dem Start der Produktionsstätte an der Lahn auch Deutschlands Impfkampagne vorankommt.
Die Mainzer müssen in der mittelhessischen Stadt nicht bei null anfangen. Sie nutzen in ihrem neuen Werk, das sie vom Schweizer Pharmariesen Novartis übernommen haben, vorhandene Infrastruktur und Expertise. Beides gibt es in Marburg nicht von ungefähr: Die Universitätsstadt besitzt eine mehr als 100-jährige Geschichte als Pharmazie- und Impfstoffstandort. Die begann mit dem Medizin-Nobelpreisträger Emil von Behring (1854-1917) und rückt nun wieder in den Fokus.
Impfstoff-Produktion: In Rekordzeit eingerichtet
„Es ist durchaus logisch, dass BioNTech Marburg ausgesucht hat“, meint Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD). „Sie brauchen die Leute, die das nötige Know-how haben, die die praktische Fertigung beherrschen. Und da ist Marburg einer der ganz wenigen Standorte, wo die Impfstoffproduktion bereits Tagesgeschäft ist.“
BioNTech peilt die Freigabe des ersten in Marburg produzierten Corona-Impfstoffs nach eigenen Angaben für Ende März an. Zwischen der Herstellung und Freigabe einer Charge des behördlich kontrollierten Vakzins vergehen üblicherweise etwa vier Wochen. Im ersten Halbjahr 2021 sollen an dem Standort mit seinen 300 Mitarbeitern 250 Millionen Impfdosen hergestellt werden. Als Gesamtmenge einer Jahresproduktion streben die Mainzer hier 750 Millionen Dosen an.
Es handele sich um einen Rekord beim Aufbau einer solchen Produktionsstätte, befand vor kurzem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Normalerweise dauere das ein bis zwei Jahre. „In diesem Fall wären es dann wenige Monate.“ Noch steht das endgültige grüne Licht aus. Das Genehmigungsverfahren werde entsprechend den Vorgaben „so schnell wie möglich fortgeführt“, heißt es beim zuständigen Regierungspräsidium Gießen (RP). Der Umbau der Anlagen sei sehr anspruchsvoll.
Die Mainzer und ihr US-Partner Pfizer wollen in diesem Jahr unter bestimmten Voraussetzungen insgesamt zwei Milliarden Dosen ihres Corona-Impfstoffs herstellen. Als Produktionsstätten dienen nach jüngsten Angaben Mainz und bald eben Marburg sowie von Pfizer das Werk im belgischen Puurs sowie drei US-Standorte. In der Regel finde in den Werken nicht der komplette Herstellungsprozess statt. Das ist auch in Marburg so: Laut Unternehmen erfolgen hier drei der vier nötigen Fertigungsschritte, abgefüllt wird woanders.
BionTech-Werk mit namhaften Nachbarn
Die Hürden seien für die Impfstoffproduktion hoch, betont der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). „Die Impfstoffherstellung gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben in der Arzneimittelproduktion überhaupt“, erklärt Verbandspräsident Han Steutel. „Sie braucht immer einen intensiven technischen Vorlauf.“
Hinzu kommt, dass die Produktion der gegen COVID-19 eingesetzten Impfstoffe auf Basis des Botenstoffes mRNA völlig neu ist. Diesen Ansatz nutzen auch BioNTech und Pfizer. mRNA muss nicht nur in großem Stil produziert, sondern auch aufbereitet und gereinigt und am Ende steril verpackt werden für den stark gekühlten Transport.
Der Standort liegt auf historischem Grund, auf dem Gelände der ehemaligen Behringwerke. Aktuell beschäftigen hier rund zehn Firmen insgesamt etwa 6500 Mitarbeiter, darunter der australische Impfstoffanbieter CSL Behring, GSK Vaccines und Siemens Healthineers. Hergestellt werden unter anderem Mittel gegen Blutgerinnungsstörungen und verschiedene Impfstoffe.
Vor mehr als 100 Jahren waren es so genannte Heil-Seren, die den Ort zu einem Hoffnungsträger im Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Diphtherie und Tetanus machten. Diese Seren enthielten neutralisierende Antikörper („Antitoxin“) aus dem Blut zuvor infizierter Pferde. Deshalb auch Emil von Behrings Standortwahl im Marburger Stadtteil Marbach, wo Grundstücke vergleichsweise günstig zu bekommen waren und in dessen Tallage sich größere Pferdeherden besonders gut halten ließen. (dpa)
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