Gastbeitrag zur Chancengleichheit
Wenn Zahlen sprechen könnten
Immer mehr Frauen studieren Medizin. Aber ändert sich dadurch automatisch auch der Arbeitsalltag der Ärztinnen? Keineswegs, es wird noch lange dauern und viel Kraft fordern, bis Ärztinnen und Ärzte wirklich die gleichen Chancen haben.
Veröffentlicht:BERLIN. Auch wenn einige Zahlen dafür zu sprechen scheinen - die Zukunft der Medizin ist noch lange nicht weiblich. Fast zwei Drittel, zwischen 63 und 70 Prozent der Medizinstudierenden sind Frauen.
Der hoffnungsvoll scheinende Start wird auf dem Weg zur Ärztin und im beruflichen Alltag jedoch beträchtlich ausgebremst. In diesem Zusammenhang wird auch gerne die Senkung des Numerus Clausus für das Medizinstudium angeführt, vorgeblich, um dem drohenden Ärztemangel vorzubeugen, tatsächlich aber auch, um den Anteil der männlichen Ärzte wieder zu erhöhen.
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden teilte vor Kurzem mit, dass der Frauenanteil in der Medizin in allen Hierarchieebenen gestiegen sei. Mehr als die Hälfte, das heißt 56 Prozent der Assistenzärztinnen und -ärzte waren demnach im zuletzt erhobenen Jahr 2013 weiblich - eine nahezu perfekte Parität.
Dies bedeutet bei Licht betrachtet gegenüber 2004 einen langsamen Zuwachs von zehn Prozentpunkten. Bei den Oberärzten machen Frauen nur noch 28 Prozent aus, das entspricht einer noch langsameren Steigerung von sechs Prozentpunkten in neun Jahren.
Auf Chefarztsesseln sind aktuell nur geschätzte acht bis zehn Prozent Ärztinnen zu finden, die Luft ganz oben ist demnach extrem dünn.
Frauenquote für Aufsichtsräte ein erster Schritt
Die Forderung nach mehr Ärztinnen in Führungspositionen wird uns ganz sicher noch viele Jahre begleiten. Die verabschiedete gesetzliche 30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte ist dazu ein von zahlreichen Frauennetzwerken und dem DÄB erfolgreich erkämpfter erster Schritt.
Im Gesundheitsbereich unterstützt die Aktion pro Quote Medizin diese Forderung. Als Schritte in die richtige Richtung könnten zum Beispiel Jobsharing-Modelle etabliert werden, die sich den gewandelten Familienmodellen anpassen.
Nach Ergebnisse einer Umfrage unter den Mitgliedern des Deutschen Ärztinnenbundes sind die Hälfte der Befragten grundsätzlich an Jobsharing interessiert und 72 Prozent könnten sich Jobsharing auch in einer Führungsposition vorstellen.
Bei einem Kulturwandel, bei dem sich perspektivisch ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auch im Gesundheitswesen widerspiegelt, wären diese Modelle durchaus realistisch umsetzbar und wahrscheinlich sogar für junge Ärzte interessant.
Schwierig ist offensichtlich die Beteiligung von Frauen in der medizinischen Forschung. Bei den W3/C4 Professuren liegt der Frauenanteil weit unter zehn Prozent. Bei den Doktoranden liegt der Frauenanteil noch bei über 50 Prozent und verdünnt sich bei den Habilitationen auf 20 Prozent.
Offensichtlich fehlen hier Modelle, wie Ärztinnen den Anforderungen durch Stationsdienst, Forschungsarbeit und Familienversorgung gerecht werden können. In den berufspolitischen Gremien liegt die Anzahl der Ärztinnen meist auch nur um die 20 Prozent.
Trotz der politischen Empfehlung werden bei den Wahlen zu den ärztlichen Körperschaften Wahllisten meist nach wie vor nicht paritätisch nach Geschlecht besetzt.
Die Unterrepräsentanz hat offensichtliche Gründe, die, auch wenn sie häufig benannt werden, deshalb nicht weniger zutreffen. Die Zahlen, so wie sich darstellen, sind nicht zuletzt immer noch in tradierten Geschlechtsstereotypen und Rollenbildern begründet.
Bei den Geschlechtsstereotypen handelt es sich zum Beispiel um stark vereinfachte Vorstellungen darüber, wie Männer und Frauen rein normativ sein sollten. So wird eine durchsetzungsfähige Frau als "Karrierefrau" beschrieben, um das Stereotyp der Hausfrau und Mutter unangetastet zu lassen.
Kinder oder Karriere - das gilt häufig noch
Ärztinnen müssen sich nach wie vor für Kinder oder Karriere entscheiden, auch wenn sie sich ganz überwiegend Kinder wünschen.
Sie tragen immer noch - wie in andern Berufen auch - den größeren Anteil an Familienarbeit. Sie haben selten einen Partner im Hintergrund, der Familie und Freizeit organisiert, der Geburtstagsgeschenke für die Angestellten für die Praxis besorgt und den Papierkram erledigt. Mit diesem Rollenverständnis muss sich neben den Ärztinnen auch die neue Generation von Ärzten auseinandersetzen.
Die Ehefrauen von Ärzten jedenfalls sind auch zunehmend selbst berufstätig und fallen als Rückenstärkung für ihren männlichen Partner weg.
Immer noch viel zu wenige Krankenhäuser verfügen zudem über betriebseigene Einrichtungen zur Kinderbetreuung, und es fehlen ausreichend attraktive Modelle für die Teilzeit-Weiterbildung.
Fakt ist demnach, dass Beruf und Privatleben bei Ärztinnen und Ärzten sich noch lange nicht in einer ausgewogenen Balance befinden, gleiche Karrierechancen und familienfreundliche Arbeitsbedingungen noch immer nicht erreicht sind. Stattdessen blockieren sich berufliche Ziele und der Wunsch nach einer Familie gegenseitig. Zahlen können eben doch sprechen...
Dr. med. Christiane Groß, M.A., ist seit März 2015 neue Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V.