Gesundheitsberufe
Wie künftig Kooperation funktionieren kann
In Deutschland steckt die interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen noch in den Kinderschuhen. Jetzt gibt es erste zukunftsweisende Programme. Wieso profitieren meistens alle Seiten davon?
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Wer sich heute für einen Gesundheitsberuf entscheidet, der bleibt in Deutschland meist unter seinesgleichen, sowohl im Studium als auch in der Ausbildung.
Dass sich diese Trennung negativ auswirken kann - nicht nur auf den Umgang und die Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe, sondern auch auf die Patientengesundheit - darauf lassen mehrere Studien schließen. Viel geändert hat sich in Deutschland bisher nicht.
Daher fordert die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA), neue Kooperationsformen und Kompetenzen von Gesundheitsberufen zu diskutieren.
Stiftung fördert Modellprojekte
Das von der Robert-Bosch-Stiftung geförderte Programm "Operation Team" unterstützt einige dieser neuen Kooperationsformen mit dem Ziel, interprofessionelle Ausbildungsinhalte fest in den Lehrplan von Medizinstudierenden und Auszubildenden zu integrieren.
"Seit zwei Jahren fördern wir acht Projekte deutschlandweit", sagt Irina Cichon, bei der Robert Bosch-Stiftung verantwortlich für das Programm "Operation Team". Die Stiftung will die interprofessionelle Ausbildung in Deutschland vorantreiben, und hat dafür nach eigenen Angaben bisher zwei Millionen Euro in die Hand genommen.
Das Projekt "Förderung der interprofessionellen Kommunikation (FInKo)" ist eines der acht geförderten Projekte, gerade ist eine zweite Unterstützungsphase über zwei Jahre angelaufen. In kleinen Gruppen werden Medizinstudierende der LMU München und Gesundheits- und Krankenpfleger einer Berufsfachschule für Krankenpflege gemeinsam unterrichtet.
Birgit Wershofen hat das Projekt entwickelt und umgesetzt. Als Krankenschwester, die lange Zeit Stationsleitung war und mittlerweile als Pflegewissenschaftlerin tätig ist, kennt sie die Probleme, die im Arbeitsalltag von Gesundheitsberufen vorkommen.
"Gute Absprachen sind wichtig", sagt Wershofen. Das verbessere nicht nur die Arbeitszufriedenheit und das Miteinander im Team, sondern sei auch für die Patienten von großer Bedeutung.
Beide Seiten profitieren vom anderen Blickwinkel
Sie hat daher gemeinsame Fallbesprechung in den Mittelpunkt des FInKo-Projekts gestellt: Die Teilnehmer überlegen sich dabei nicht nur gemeinsam einen Behandlungsplan, sondern auch die Gesundheits- und Krankenpflegeschülerinnen nehmen an der anschließenden simulierten Visite teil.
"Das war mir ganz wichtig, dass die Pflege mit zur Visite geht und nicht außen vor bleibt", so Wershofen.
Diesen Ansatz fand auch Gesundheitspfleger Philipp Reibert wichtig. Gemeinsam mit drei weiteren Gesundheits- und Krankenpflegern und vier Medizinstudenten im Praktischen Jahr hat der 23-Jährige an Birgit Wershofens Projekt teilgenommen.
Von der interprofessionellen Lerneinheit habe er im Alltag sehr profitieren können, vor allem im Bezug auf das Verständnis der beiden Berufsgruppen untereinander. "Ich war erstaunt, wie oft den Medizinstudenten Dinge auffielen, die die Krankenpflegeschüler anders gesehen haben."
So hätten sich Pflegeschüler besser in Patienten hineinversetzen können, Medizinstudierende dagegen hätten die Fähigkeit gehabt, Therapieansätze kompakt darzulegen, sodass schnell ein Konsens gefunden werden konnte.
Sebastian Imach sieht in der verbalen Kommunikation einen Schwachpunkt in der Ausbildung der Pflegeschüler. Auch der 32-Jährige hat an dem Projekt FInKo teilgenommen, mittlerweile arbeitet er als Assistenzarzt in einer Unfallchirurgie. "Ich habe gemerkt, dass die Pflegeschüler teilweise gar nicht richtig verbalisieren konnten, wo das medizinische Problem liegt."
Keine Visite ohne Pflegekräfte
Die richtige Terminologie bekämen Pflegeschüler in der Ausbildung offenbar nicht beigebracht. "Dabei hat mir der Kurs ganz deutlich gezeigt, wie wichtig die Kommunikation ist. Schließlich beeinflussen Pflegende auch das tägliche Arbeitsleben von uns Ärzten", so Imach.
Auch der Mediziner legt in seinem Arbeitsalltag mittlerweile Wert darauf, dass die Pflegekräfte anwesend sind, wenn er selbst eine Visite leitet. "Die Pflege deckt einen anderen, ergänzenden Bereich der Medizin ab, eine Visite ohne Pflege macht keinen Sinn."
In der Praxis sei es allerdings schwierig, das Gelernte anzuwenden, gibt Pflegeschüler Philipp Reibert zu bedenken. "Die Visite wird überwiegend noch hierarchisch von Chef- und Oberärzten geleitet." Mittlerweile habe er allerdings gemeinsam mit Kollegen eine Wochenendvisite durchgesetzt, in der sowohl Arzt als auch Pflegekraft gleichberechtigt teilnahmen.
Die beiden würden den Kurs auf jeden Fall weiterempfehlen: "Es war eine tolle Erfahrung, interdisziplinär etwas mit Gleichgesinnten zu erarbeiten und in manchem Fall ein richtiger Augenöffner", so Imach. Sinnvoll seien solche Lerneinheiten dabei nicht nur in der Ausbildung, sondern auch in der Weiterbildung.
Dozentinnen unterrichten ohne Honorar
Projektleiterin Birgit Wershofen sieht allerdings noch einige Probleme in der Umsetzung: "Die Dozenten werden für das Seminar nicht freigestellt und erhalten auch kein Honorar."
Ob ein Kurs stattfinde, liege damit zu einem Großteil an ihrem persönlichen Engagement und dem Engagement der Dozentinnen, die ein 16-stündiges Seminar in ihrer Freizeit leiten.
"Ich bin zuversichtlich, aber auch realistisch: Ich hoffe, dass es im Laufe der Zeit zunehmend Freistellungen für die Lehre geben wird, weiß aber auch, dass jede Veränderung in der Einführungsphase ein hohes Arbeitspensum erfordert.", so Wershofen weiter.
Dabei hat sich auch in Mannheim gezeigt, wie sehr gemeinsames Lernen die Kommunikation zwischen den Gesundheitsberufen verbessern kann.
Hier wird ein weiteres Projekt von der Robert Bosch-Stiftung gefördert: "In Kooperation be-greifen" nennt es sich, angehende Physiotherapeuten lernen gemeinsam mit Medizinstudierenden des Modellstudiengangs "MaReCuM" der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg unterrichtet.
Das Projekt beinhaltet neben Seminaren und Vorlesungen auch eine Hospitation, bei der die Medizinstudierenden die Physiotherapie-Schüler bei ihrer Arbeit begleiten. Die Hospitation kommt besonders gut an.
Wertschätzung der anderen Berufe
Womöglich trägt auch der Ansatz, dass hier Mediziner hospitieren und Physiotherapeuten erklären, einiges zum Erfolg bei. Physiotherapeut Patrick Thees zumindest hat das Projekt sehr bestätigt, "weil auch den Medizinstudierenden aufgefallen ist, wie sehr sie Physiotherapeuten im Berufsalltag unterschätzen".
Der 26-Jährige hat in seinem zweiten Ausbildungsjahr teilgenommen und stellt fest: "Interprofessionelle Lerneinheiten können dazu beitragen, dass Physiotherapeuten eben nicht als "weniger Belehrte" angesehen werden, sondern als guter und gleichberechtigter Ansprechpartner.
Dem kann Medizinstudent Mark Ionascu nur zustimmen. "Das Know-How der Physiotherapeuten war bemerkenswert. Sie haben uns auf viele praktische Dinge hingewiesen, zum Beispiel wie wir bei der Messung der Bewegungswinkel in der Hüfte das Bein korrekt halten", so Ionascu.
Kritik an behäbigen Universitäten
Wenn interprofessionelle Lerneinheiten offenbar von Medizinstudierenden und Auszubildenden gleichermaßen wertgeschätzt werden – warum sind sie in Ausbildung und Curriculum noch nicht angekommen?
Den Ball sieht Irina Cichon von der Robert-Bosch-Stiftung bei den Universitäten. Die Stiftung habe Geld zur Verfügung gestellt, um Projekte anzustoßen, die die interprofessionelle Kommunikation vorantreiben.
"Jetzt müssen die Ausbildungsstätten ihren Teil dazu beitragen", sagt Cichon. So sollten Bildungseinrichtungen Strukturen und Zuständigkeiten schaffen, um Interprofessionalität als langfristiges Ziel umzusetzen.
Das Interesse ist dabei unbestritten groß – für die zweite Förderungsrunde des Programms "Operation Team" haben sich gerade 40 Projekte beworben.