BGH fordert

Zwangsbehandlung auch ohne "Weglauftendenz"

Eine medizinische Zwangsbehandlung muss auch dann möglich sein, wenn sich psychisch Kranke der Behandlung körperlich nicht entziehen können - das fordert der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Beschluss. Jetzt ist das Bundesverfassungsgericht am Zug.

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KARLSRUHE. Eine medizinische Zwangsbehandlung muss auch dann möglich sein, wenn sich psychisch Kranke der Behandlung körperlich nicht entziehen können. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss gefordert.

Weil die derzeitige Gesetzeslage dies nicht hergibt, rief der BGH das Bundesverfassungsgericht an. Die 63-jährige Patientin hat eine schizoaffektive Psychose.

Da sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, steht sie unter rechtlicher Betreuung. 2014 wurde zunächst eine Autoimmunkrankheit diagnostiziert, die zu massiver Muskelschwäche führte, später dann noch ein Brustkarzinom.

Große Schmerzen und Tod drohen

Daraufhin hat die Betreuerin die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung sowie ärztliche Zwangsmaßnahmen zur Behandlung des Brustkrebses beantragt. Andernfalls drohten der Frau große Schmerzen und letztlich der Tod.

Die Notwendigkeit der Behandlung könne sie wegen ihrer psychischen Erkrankung aber nicht erkennen.

Amts- und Landgericht Stuttgart haben die Zustimmung verweigert. Die Frau sei bettlägerig und zeige "keinerlei Weglauftendenzen".

Daher gebe es keinerlei rechtliche Grundlage für die Zwangsunterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Als Konsequenz scheide aber auch die medizinische Zwangsbehandlung aus. Denn dies sei laut Gesetz nur "im Rahmen der Unterbringung" zulässig.

Angestoßen durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus 2011 wurden die gesetzlichen Grundlagen für medizinische Zwangsmaßnahmen 2013 neu geregelt. In der Auslegung der Neuregelung ist der BGH den Vorinstanzen gefolgt; die sich daraus ergebende Situation sei aber verfassungswidrig.

Schwere Eingriffe in Grundrechte

Eine medizinische Zwangsbehandlung sei zwar mit schweren Eingriffen in die Grundrechte der Patienten verbunden. Letztlich handele es sich aber um "begünstigende Maßnahmen der staatlichen Fürsorge", so der BGH zur Begründung.

"Ihr Zweck besteht insbesondere darin, den Anspruch des Betroffenen auf Schutz und Behandlung umzusetzen, wenn er krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden kann und sich dadurch erheblich schädigen würde."

Es gebe keinen Grund, diesen Schutz nur solchen nicht einsichtsfähigen Personen zukommen zu lassen, die körperlich noch zum "Weglaufen" in der Lage sind, während ein geschwächter Patient "auch bei schwersten Erkrankungen seiner Krankheit überlassen bleiben muss".

Auf diese "durch die Ungleichbehandlung verursachte Schutzlücke" habe der BGH auch bereits früher hingewiesen. Dennoch habe der Gesetzgeber ihn bei seiner Gesetzesnovelle nicht aufgehoben.

Ob darin ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot und die staatliche Fürsorgepflicht besteht, müsse daher nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden. (mwo)

Az.: XII ZB 89/15

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Kommentare
Rudolf Hege 15.07.201508:57 Uhr

Gefährlicher Eingriff

Bei solchen Forderungen stellt sich immer die Frage nach der Objektivierbarkeit. Anders gesagt, wer entscheidet, wann jemand nicht mehr das Recht hat, über seinen Körper zu bestimmen. Aus therapeutischer Sicht wird man immer behandeln wollen, wenn man eine Behandlungsmöglichkeit sieht. Aber es ist letztlich der Patient, der entscheidet, ob er die Behandlung will. Die Ablehnung einer Behandlung ist für viele Therapeuten bereits "pathologisch". Aber nicht für jeden ist Leben um jeden Preis wünschenswert. Auch das sollte respektiert werden.

Letztlich schiebt man so den Ärzten den schwarzen Peter zu. Sie sollen entscheiden, wann jemand Nein sagen darf und wann nicht.

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