Empfehlungen an die Ampel
Zwei Suchtmediziner plädieren für Neustart bei Drogen- und Suchtpolitik
Entkriminalisierung von Cannabis- und Ecstasy-Konsumenten sowie Zugang opioidabhängiger Häftlinge zur Suchtmedizin: Zentrale Punkte, bei denen Suchtmediziner die Berliner Ampel in die Pflicht nehmen.
Veröffentlicht:Frankfurt/Aachen/Berlin. Die Pläne der Bundesregierung, Cannabis zu legalisieren, nehmen die beiden Suchtforscher Professor Heino Stöver, Leiter des Instituts für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences, und Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit am Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Aachen, zum Anlass, der Berliner Ampel eine grundlegende Reform der Drogenpolitik in Deutschland nahezulegen.
„Die Entkriminalisierung der Konsumierenden aller Drogen ist ein längst überfälliger erster Schritt“,betonen sie in einem gemeinsamen, am Mittwoch veröffentlichten Papier. Dringend geboten sei zudem eine Neuregulierung des Drogenmarktes sowie eine Fokussierung auf wirksame suchttherapeutische und sozialtherapeutische Maßnahmen im Justizvollzug, um eine Rehabilitation und Resozialisierung drogenkonsumierender Strafgefangener zu ermöglichen, heißt es weiter.
Hilfe statt Repressalien
Sie fordern die Abkehr vom Abstinenzdogma: „Notwendig ist ein neuer gesundheitspolitischer Ansatz mit dem Ziel der Regulierung illegaler Substanzen und eines Abbaus repressiver Strukturen zugunsten gesundheitlicher Unterstützungen und Hilfen. Dringend erforderlich ist zudem eine wissenschaftliche Fundierung der Drogenpolitik, begleitet von einem Beirat, einer Enquetekommission oder einer neu besetzten Drogen- und Suchtkommission der neuen Bundesregierung.“ Im Hinblick auf die von der Ampelkoalition angekündigte Legalisierung von Cannabis legen die Wissenschaftler nicht nur flankierende Vorschläge vor, sondern plädieren zugleich dafür, die Regulierungsdebatte auszudehnen auf weitere Substanzen wie MDMA (Ecstasy).
Die Kriminalisierung – also Strafverfolgung, gerichtliche Befassung, Verurteilung und Inhaftierung – betreffe viele Konsumentinnen und Konsumenten illegaler psychoaktiver Substanzen im Laufe ihrer Konsumphase. Für die oft abhängigen Opiod-Konsumenten habe dies oft fatale Konsequenzen – zumindest, wenn sie polizeilich auffällig würden. Mit Verweis auf eine Erhebung des Robert Koch-Instituts erinnern die beiden Suchtforscher daran, dass 80 Prozent dieser Gruppe oft langjährige Hafterfahrungen hätten.
Für diese Menschen bringe die Haft gesundheitliche und soziale Probleme mit sich, weil Gefangene nur zu einem geringen Teil von den Fortschritten in der Suchtmedizin profitierten. Nur etwa 23 Prozent aller in Frage kommenden opioidabhängigen Gefangenen erhielten eine Substitutionsbehandlung – im Gegensatz zu den rund 50 Prozent in Freiheit – und in vielen Fällen nicht das Medikament ihrer Wahl. „Die verbreitete Praxis eines Abbruchs der in Freiheit begonnenen Substitutionsbehandlungen erscheint umso weniger nachvollziehbar, als diese nach medizinischer Indikation begonnen wurden und die Substitutionsbehandlung in Gefängnissen in den Richtlinien der Bundesärztekammer ausdrücklich vorgesehen ist“, merkt Deimel dazu an.
Es fehlen schlicht die Ansprechpartner
Im Gegensatz zu Themen wie Sexualität oder Gewalt gebe es, wie Stöver weiter ausführt, beim Thema Drogen keinen Erfahrungsaustausch, keine Informationsvermittlung und keine Begleitung durch Eltern, Lehrkräfte oder auch Peers. „Konsumierende, insbesondere die vulnerable Gruppe der Jugendlichen, sind gezwungen, ihren Drogengebrauch zu leugnen und zu verheimlichen. Bei drogenbezogenen Problemen wie Überdosierungen, Abhängigkeit, Psychosen, HBV/HCV- und HIV-Infektionen, Selbst- oder Fremdverletzungen im Rausch nehmen sie in vielen Fällen keine Hilfe in Anspruch“, so Stöver.
„Steckte man die Mittel aus der Repression in die Prävention, Beratung und Therapie, wäre deren Finanzierung in ganz neuen Größenordnungen möglich“, ergänzt Deimel. Er verweist auf die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), die eine massive Erhöhung der Ausgaben von derzeit rund 30 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro pro Jahr fordert, was einem Viertel der Ausgaben für die Repression im Bereich illegaler Drogen entspreche.
Zur Legalisierung von Cannabis empfehlen die Suchtforscher unter anderem folgende Maßnahmen:
- Verkauf: Ausschließlich in Fachgeschäften mit Fachpersonal, die Informationsangebote bereithalten und mit der Drogenhilfe vernetzt sind;
- Lizenzierung: Beschränkung auf eine Verkaufsstelle pro natürliche Person mit Sicherstellung des Jugendschutzes sowie ausschließlich persönlicher Verkauf in einer festen Betriebsstätte; kein Internet- oder Straßenhandel oder Automatenverkauf wegen fehlender Beratung.
- Qualitätskontrolle: Gesundheitsschädliche Rückstände wie Herbizide und Pestizide in den angebotenen Produkten sollten ausgeschlossen werden.
- Abgabe: Altersgrenze von 18 Jahren für den Kauf, keine Registrierung.