Gastbeitrag

Zweitmeinung im Netz - ein Fall für Karlsruhe?

Das Zweitmeinungsportal "Vorsicht, Operation!" hat für heftige Kritik gesorgt - und viele Fragen aufgeworfen: Wo beginnt das Fernbehandlungsverbot, inwieweit haften die Konsiliarärzte? Ein genauer Blick zeigt: Das Recht hinkt der Zeit hinterher.

Von Christian Dierks Veröffentlicht:
Befundung via Internet: "Die Zeit ist reif, ist es das Recht auch?"

Befundung via Internet: "Die Zeit ist reif, ist es das Recht auch?"

© Kurhan / shutterstock

Neue Online-Portale geben Patienten die Möglichkeit, eine Zweitmeinung einzuholen, etwa im Vorfeld einer Operation. Dies soll unter anderem der Vermeidung von unnötigen, medizinisch nicht indizierten Behandlungen oder Operationen dienen.

Auf den Portalen stehen Experten zur Verfügung, die Einzelfälle begutachten. Der Patient hat die Möglichkeit, über das Portal einen Fragebogen auszufüllen und Befunde elektronisch einzusenden. Auf Grundlage dieser Angaben wird ein Gutachten mit Diagnose und Therapieempfehlungen sowie alternativen Behandlungsmöglichkeiten erstellt.

Die rechtliche Betrachtung eines solchen Portals zeigt, dass einige Fragen mit den bestehenden Regelungen nicht abschließend zu beantworten sind und dass sich durch sie neue Herausforderungen für das Recht stellen. Woran liegt das?

Unklarheit beim Verbot von Fernbehandlungen

Die Angebote traditioneller Portale bestehen bisher etwa in Konsilien unter Kollegen, in der Erteilung telefonisch therapeutischer Ratschläge an den Patienten durch seinen behandelnden Arzt, in Notfällen oder im Rahmen der Erbringung telemedizinischer Leistungen oder (ergänzende, erklärende) Telefonberatungen durch medizinische Hotlines.

Konkrete Diagnosen oder Therapieempfehlungen werden dabei in den meisten Fällen nicht abgegeben, die Behandlungsverantwortung bleibt bei dem die Behandlung führenden (überweisenden) Arzt. Ein sicheres Datenschutzkonzept ist die Grundlage für den Umgang mit den personenbeziehbaren Gesundheitsdaten in einem solchen Portal.

Die Anforderungen an eine sichere Kommunikation sind bekannt und können eingehalten werden. Neue Fragen stellen sich aber in berufs- und haftungsrechtlicher Hinsicht, immer unterstellt, für das Online-Angebot gilt deutsches Recht.

Und so steht es in der Berufsordnung

Musterberufsordnung, Paragraf 7, Absatz 3:

"Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, weder ausschließlich brieflich noch in Zeitungen oder Zeitschriften noch ausschließlich über Kommunikationsmedien oder Computerkommunikationsnetze durchführen."

Berufsrechtlich bleibt auch nach Zustimmung des 114. Deutschen Ärztetags für den Änderungsantrag zu Paragraf 7 Absatz 3 der Musterberufsordnung (MBO), der ein Verbot ausschließlicher Fernbehandlung enthält, weiterhin unklar, wie der Umfang eines solchen ausschließlichen Fernbehandlungsverbots im Einzelfall zu bestimmen ist.

Derzeit dürfen Ärzte individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, "weder ausschließlich brieflich noch in Zeitungen oder Zeitschriften noch ausschließlich über Kommunikationsmedien oder Computerkommunikationsnetze durchführen". Die Vorschrift will den Einsatz der genannten Kommunikationsmedien nicht gänzlich unterbinden.

Über die Reichweite des Verbots besteht aber auch in der geplanten Änderungsfassung kaum Klarheit. Darf die "Fernbehandlung" nur vom Erstbehandler, der den Patienten persönlich gesehen hat, durchgeführt werden? Ist die Grenze bei Diagnosestellung oder Therapieempfehlung nur auf Grundlage von Röntgen-, MRT-Bildern und Fragebögen zu ziehen?

Bedarf es einer Zusammenarbeit zwischen Erstbehandler und Zweitmeinungsgeber? Womöglich werden die Antworten der Berufsgerichte zunächst restriktiv sein, später aber vom Bundesverfassungsgericht liberalisierend korrigiert.

Haftungsrechtlich kann sich ein Konsiliararzt auf die Aussagen seines überweisenden Kollegen im Regelfall verlassen und darauf, dass dieser den Patienten sorgfältig und ordnungsgemäß untersucht hat und die angeforderte Leistung medizinisch angezeigt ist.

Zweitmeinungsportale werden aber unmittelbar vom Patienten in Anspruch genommen und das im Zweifel ohne Zustimmung oder Kenntnis des Erstbehandlers. Dem Patienten werden Diagnosen gestellt und konkrete Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt.

Erhält ein Arzt diese Anfrage ausschließlich elektronisch von einem Patienten, gelten andere Bewertungsmaßstäbe. Der die Diagnose stellende oder eine Therapieempfehlung abgebende Arzt kann sich nicht auf das Privileg eines Konsiliararztes berufen.

Er haftet selbst und umfänglich für mögliche Fehlleistungen aus einem Behandlungsvertrag mit dem Patienten. Den Arzt wird außerdem die Pflicht treffen, den Patienten vollständig therapeutisch aufzuklären, wenn er Diagnosen stellt oder Therapieempfehlungen abgibt. Soweit ist die Rechtslage klar.

Das geltende Recht könnte sich der Online-Welt öffnen

Zweitmeinungen werden von der Politik immer wieder gefordert, sie sind wichtig und nicht neu. Sie auf einem Portal anzubieten passt in unsere Online-Welt. Das geltende Recht kann sich dieser neuen medizinischen Dienstleistung öffnen, wenn es gleichzeitig das Wohl des Patienten, den Schutz vor den ihm aus seiner Krankheit drohenden Gefahren, sicherstellt.

Warum soll der mündige Patient nicht eine Online-Zweitmeinung in Anspruch nehmen, wenn er die womöglich bestehenden Defizite einer nicht-persönlichen Beratung akzeptiert? Die Rechtsprechung des BGH akzeptiert schließlich auch den Aufklärungsverzicht, wenn das Wesentliche der Aufklärung kommuniziert wird und der Patient weiß, dass er auf Teilinhalte verzichtet.

Bei entsprechender Aufklärung und Einwilligung im Online-Portal kann die Rechtsgrundlage belastbar gestaltet werden. Mit anderen Worten: Die Zeit ist reif für ein interaktives Zweitmeinungs-Portal, aber ist das Recht es auch?

Zur Person: Professor Christian Dierks ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Fachanwalt für Medizinrecht und Sozialrecht in Berlin.

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