Sugarfree

Lebt es sich gesünder ohne Zucker?

Essen ohne Zucker liegt im Trend – selbst ernannte Ernährungspäpste sind überzeugt, dass Süßes krank macht. Doch wie gesund ist der freiwillige Verzicht?

Von Gisela Gross Veröffentlicht:
Grüner, zuckerfreier Smoothie. Den Slogan "Kein Zucker" haben sich viele selbst ernannte Ernährungsexperten zu eigen gemacht und postulieren nun bunt gemischt die verschiedensten Ernährungsstile.

Grüner, zuckerfreier Smoothie. Den Slogan "Kein Zucker" haben sich viele selbst ernannte Ernährungsexperten zu eigen gemacht und postulieren nun bunt gemischt die verschiedensten Ernährungsstile.

© kritsada171 / Fotolia

BERLIN. Der Feind steckt nicht nur in Muffins oder Schokolade. Er lauert auch dort, wo ihn kaum einer vermutet. In Essig und Wurstbrot zum Beispiel. Davor warnen derzeit eine Reihe von Autoren und Bloggern, das Stichwort #Sugarfree zieht sich durch die sozialen Netzwerke. Zuckerhaltiges Essen wird da schon mal zur Droge erklärt, das Leben ohne zum Selbstversuch. Statt Marmelade gibt es Frischkornbrei, statt Haushaltszucker Ersatzsüße mit Namen wie Erythrit. Der nächste große Hype nach vegan, laktose- und glutenfrei? Experten sehen das kritisch.

Der neuen Welle der ZuckerGegner geht es um mehr als Karies. Mit dem Verzicht in Verbindung bringen sie strahlenden Teint, weniger Falten, purzelnde Pfunde, mehr Geschmackssinn und Konzentrationsfähigkeit. "Es war ein neues Leben", sagte die Moderatorin Anastasia Zampounidis im vergangenen Jahr in einer Talksendung, zehn Jahre nach ihrer Umstellung auf zuckerfreie Kost. Vorher sei sie eine Abhängige gewesen, sagte sie. Frauenmagazine stürzten sich auf das Thema, denn der Moderatorin war ihr Alter, 48, keineswegs anzusehen.

Wer zum Dicksein neigt

Kann das wirklich am Zuckerverzicht liegen? "Zucker ist nicht übermäßig gesund, und wenn wir davon viel essen, hat er negative Wirkungen für den Stoffwechsel. Aber Daten zu Wirkungen für die Schönheit gibt es nicht", sagt der Endokrinologe Professor Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam und der Charité Berlin. Negative Folgen beträfen vor allem dicke Menschen. Bei gesunden Schlanken sei eine schädliche Wirkung sehr schwer nachzuweisen. Zu Dosis und Wirkung von Zucker gibt es wenige Daten, Versuche an Mäusen sind nicht 1:1 auf den Menschen übertragbar. "Zucker weglassen hat im Wesentlichen den Effekt, dass man weniger dick wird, wenn man zum Dicksein neigt", bilanziert Pfeiffer.

Grüne Smoothies

Kein Zucker, das ist auch Teil von Ernährungsstilen wie Clean Eating (moderne Vollwertkost) und der Steinzeiternährung Paleo. Gemeint ist meist der Verzicht auf Industriezucker und Fertigprodukte, die Zucker etwa in Form von Glukose-Fruktose-Sirup enthalten. Teils kommen stattdessen kalorienärmere Süßstoffe auf den Teller. Streng genommen wäre zuckerfreie Ernährung auch frei von Kohlenhydraten und Waren, die von Natur aus Zucker enthalten, wie Obst, Gemüse und Milch.

Vermarktet wird "Zuckerfrei" mit viel Englisch ("cleanes Lifestyle-Lebensgefühl mit unzähligen Feel-Good-and-Be-Happy-Momenten", aus einer Buch-Beschreibung). Wer spricht noch von Diät? Heute geht es um die "Challenge", eine Herausforderung. Dahinter steckt Altbekanntes: Ein Ernährungsplan über mehrere Wochen, den es durchzuhalten gilt. Fotos zeigen Frauen mit grünen Smoothies und Obstkörben. Eine Ratgeber-Autorin schreibt vorweg im Freundinnen-Tonfall: "Ich bin keine Wissenschaftlerin, sondern ein menschliches Versuchskaninchen."

Mit schöner Verpackung lasse sich der Laie in Essensfragen schnell verleiten, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Gabriele Kaufmann vom Bundeszentrum für Ernährung. Dabei ist für sie klar: "Komplett zuckerfrei muss nicht sein." Sie betont auch mit Blick auf Gesunde, die etwa auf Gluten verzichten: "Es gibt keine falschen Lebensmittel, nur einen falschen Umgang damit." Das heißt: zu viel, zu einseitiges Essen. Kaufmann warnt sogar, aus dem Takt geraten könne der Stoffwechsel gerade durch Ernährungsumstellungen ohne professionellen Rat. Jojo-Effekt nach der "Challenge" womöglich inklusive.

So etwas wie der Papst der Zucker-Abstinenzler ist Robert Lustig von der University of California. Der Mediziner, der ein Millionenpublikum auf YouTube hat, warf der US-Lebensmittelindustrie schon vor Jahren vor, "Gift" im Essen zu verstecken – in Form von Zuckersirup aus Mais. Natürlich seien zu viele zu süße, attraktive Produkte auf dem Markt, allen voran Limonaden, sagt indes Forscher Andreas Pfeiffer.

Zucker ein Suchtmittel zu nennen, findet er aber problematisch. Starkes Verlangen danach sieht er in Psyche und erlernten Gewohnheiten verwurzelt. Das geht schon im Kindesalter los – wenn es zur Belohnung Süßigkeiten gibt. (dpa)

Mehr zum Thema

Interdisziplinarität

Wie behandeln bei Rheuma und CED?

Ernährung und Psyche

Enges Wechselspiel von psychischer und Darmgesundheit

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

47. Deutscher Krankenhaustag

Ärztliche Vollzeitstellen in Kliniken: Zehn Prozent Differenz zwischen Ist und Soll

Leitartikel zum Kompromiss von SPD und Union

Frühere Neuwahlen – vernünftig und ein Hoffnungsschimmer

Lesetipps
Der Deutsche Krankenhaustag ist Teil des Programms der Medizinmesse MEDICA in Düsseldorf.

© Messe Düsseldorf / ctillmann

47. Deutscher Krankenhaustag

Klinikreform: Klinikverbände hoffen auf den Vermittlungsausschuss

Wie geht es nach der Neuwahl des Bundestages in der Gesundheitspolitik weiter? Der Virchowbund macht Vorschläge, die heftige Debatten auslösen könnten.

© New Africa / stock.adobe.com

Zukunft des Gesundheitswesens

Freie Arztwahl soll für Patienten teurer werden

Steine stapeln in der Natur kann für Stressgeplagte ein entspannendes Ritual sein.

© Igor / stock.adobe.com / KI-generiert

Stressmediziner im Interview

Kollege gibt Tipps: Das hilft Ärzten bei Stress