Vernachlässigtes Risiko

Dauersitzen macht krank

Wer viel sitzt, hat ein höheres Risiko für Herz-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und frühen Tod. Selbst Ausgleichssport kann die Risiken nicht ganz kompensieren. Das bestätigt eine Metaanalyse.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Sitzen macht krank - nicht nur den Rücken.

Sitzen macht krank - nicht nur den Rücken.

© Gina Sanders/Fotolia

TORONTO. An Werktagen verbringen wir Deutschen durchschnittlich siebeneinhalb Stunden im Sitzen. Das hat erst kürzlich eine Umfrage ergeben, die die Krankenversicherung DKV zusammen mit der Sporthochschule Köln in Auftrag gegeben hat.

Das Problem ist offenbar nicht nur, dass uns die Hockerei von sportlichen Aktivitäten abhält. Wie die Autoren einer aktuellen Metaanalyse aus Kanada bestätigen, scheint stundenlanges Sitzen für sich genommen ein gesundheitlicher Risikofaktor zu sein.

Aviroop Biswas und Kollegen von der Universität Toronto haben 41 Studien - überwiegend prospektive Kohortenstudien - ausgewertet (Ann Intern Med 2015; 162: 123).

Das Ergebnis: Mit der Sitzdauer stieg bei den erwachsenen Teilnehmern auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs signifikant, und zwar bei Dauersitzen (Sitzminimum zwischen vier und 11 Stunden täglich) um 14 bzw. 13 Prozent.

Die Teilnehmerzahlen der Untersuchungen lagen bei den Herz-Kreislauf-Studien bei rund 550.000, in den Krebsstudien bei etwa 745.000.

Die Nachbeobachtungszeiten variierten zwischen einem und 16 Jahren. Die erhöhte Krebsinzidenz betraf vor allem Brust-, Darm-, Endometrium- und Ovarialkarzinom.

Diabetesrisiko 90 Prozent erhöht

Am deutlichsten war der Effekt beim Typ-2-Diabetes: In der gepoolten Analyse von fünf Studien war das Erkrankungsrisiko bei "langem Sitzen" ("high sedentary time") um 91 Prozent erhöht.

Eine einzelne Studie aus Australien hatte umgekehrt ergeben, dass Teilnehmer, die weniger als acht Stunden täglich in sitzender Position verbrachten, ein um 14 Prozent geringeres Risiko für eine Klinikeinweisung hatten.

Über alle Studien hinweg war auch die Sterberate signifikant mit dem Vielsitzen verknüpft, und zwar nicht nur die Gesamtmortalität, sondern auch die kardiovaskuläre Mortalität und die Krebssterblichkeit (Risikoanstieg um 24, 18 bzw. 17 Prozent).

Erhöhtes Risiko trotz Sport

Um zu sehen, ob es sich um einen unabhängigen Risikofaktor handelte, haben die Autoren ihre Ergebnisse um viele mögliche Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildungsgrad und chronische Erkrankungen in der Vorgeschichte bereinigt.

Vor allem aber haben sie auch den Einfluss von körperlicher Aktivität statistisch eliminiert. Die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit blieben dabei bestehen, egal, ob jemand am Feierabend oder am Wochenende Sport trieb oder nicht.

Dennoch kann der Sport offenbar so manche "Sitzsünden" kompensieren: Acht Studien hatten die kombinierten Effekte von Sitzdauer und körperlicher Aktivität auf die Gesundheit zum Gegenstand. Diese haben Biswas und sein Team noch einmal getrennt untersucht.

Dabei variierten die gefundenen Risiken in Abhängigkeit davon, wie intensiv sich die Teilnehmer in ihrer Freizeit bewegten. Generell war ein niedrigeres Aktivitätsniveau mit einem höheren Risiko verbunden und umgekehrt.

Teilnehmer, die lange saßen, aber dennoch regelmäßig Sport trieben, hatten ein um 30 Prozent niedrigeres Mortalitätsrisiko als eine vergleichbare Gruppe von Vielsitzern, die sich insgesamt wenig bewegten.

"Viel sitzen" unterschiedlich definiert

Das Problem an der gesamten Metaanalyse: In den einzelnen Studien wurden sehr unterschiedliche Maßstäbe für "langes Sitzen" angelegt. So hatte man in einigen Untersuchungen die gesamte tagsüber im Sitzen verbrachte Zeit erfragt, wohingegen in anderen nur die Zeit zählte, in der die Teilnehmer ferngesehen hatten.

Wieder andere hatten sich auf das Sitzen am Arbeitsplatz konzentriert. Damit lässt sich auch nicht sagen, ab wie vielen sitzend verbrachten Stunden man von einer Gesundheitsgefährdung ausgehen muss. Auch das durchschnittliche Aktivitätsniveau der Teilnehmer war von Studie zu Studie sehr verschieden.

Dennoch: Die deutlichen Ergebnisse, die sich über mehrere Krankheitsentitäten hinweg bestätigten, sprechen laut Biswas und seinem Team für einen kausalen Zusammenhang.

Die Autoren regen für die Zukunft an, Gesundheitsprogramme nicht nur auf körperliche Aktivitäten zu fokussieren. Es müssten vielmehr auch Strategien entwickelt werden, die sich explizit gegen das weitverbreitete lange Sitzen richten.

Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln, hat konkrete Ratschläge parat, wie sich der Risikofaktor begrenzen lässt: Den Fernseher ausschalten und aufstehen, wenn der Film zu Ende ist, zum Beispiel.

Am Arbeitsplatz können Stehmeetings, verstellbare Schreibtische und aktive Büropausen die Mitarbeiter vom vielen Sitzen abhalten. "Gerade mit Blick auf die älter werdende Gesellschaft und den Fachkräftemangel", so der Experte, "sollten Arbeitgeber das Thema Dauersitzen ernst nehmen."

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Nicht Kranksitzen!

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 12.02.201510:51 Uhr

Im Sitzen rückt der Tod nur näher! Oder "Ich glotz TV!" (Nina Hagen & Band 1978)

TV-Glotzen, PC-Nutzen, Bürostuhl-Tätigkeiten, Sitzungen, chat-rooms, Autofahren und am Lebensende nur noch Rollstuhl-Fahren? Der Tod rückt im Sitzen nur näher!

Die hier in der Ärzte Zeitung referierte Publikation "Sedentary Time and Its Association With Risk for Disease Incidence, Mortality, and Hospitalization in Adults: A Systematic Review and Meta-analysis" von Aviroop Biswas et al. bringt da keine neuen Erkenntnisse. Die Umfrage der Deutschen Krankenversicherung DKV zusammen mit der Sporthochschule Köln bestätigte unsere "fußlahmen" Bewegungsmuster in Deutschland.

“Television Viewing, Computer Use, Time Driving and All-Cause Mortality: The SUN Cohort” ist der Titel einer Publikation von Francisco Javier Basterra-Gortari et al. im Journal of the American Heart Association (JAHA). Doch von einer echten prospektiven Studie, mit der eine Hypothese geprüft, bestätigt oder verworfen wird, ist diese aktuelle Untersuchung weit entfernt. J Am Heart Assoc. 2014; 3:e000864
http://dx.doi.org/10.1161/JAHA.114.000864

Es handelt sich um eine sogenannte Follow-Up-Studie. Niemand kann exakt im Voraus sagen, wie lange er zukünftig im Büro sitzen, fernsehen, Computer benutzen oder Auto fahren werden wird, sondern sich allenfalls bei Befragungen retrospektiv grob erinnern, dass da mal irgendwas mit TV, PC und PKW war: „13 284 Spanish university graduates with a mean age of 37 years were followed-up for a median of 8.2 years“ und wurden per Fragebogen zum Thema Sitzdauer pro Tag dazu befragt.

Ein bekanntes Motto lautet: ''Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft''. E. S. George et al. haben dazu im Int J Behav Nutr Phys Act. Anfang 2013 veröffentlicht: „Chronic disease and sitting time in middle-aged Australian males: findings from the 45 And Up Study”
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3571940/
Sie fanden einen positiven Zusammenhang zwischen der täglichen Sitzdauer und dem Auftreten von Diabetes mellitus bzw. anderen chronischen Krankheiten im Rahmen einer ebenfalls retrospektiven Krankheits-Register-Studie. Damit ihre Erkenntnisse nicht auf dem Niveau bleiben: ''Je flacher die Atmung, desto schlechter die Lungenfunktion'', forderten sie prospektive Studien zur Klärung eines Kausalitäts-Zusammenhangs. Denn nicht nur Bewegungsmangel und das viele Sitzen allein lassen Krankheiten entstehen. Sondern auch und gerade die krankheits- und behinderungsbedingten Bewegungs- und Leistungs-Einschränkungen diktieren u. a. die tägliche Sitzdauer. Andernfalls müssten Bus- und Taxifahrer, Piloten, Rennfahrer, Büro- und Verwaltungsangestellte, im Deutschen Ärzteblatt Kommentare schreibende Kollegen/-innen oder Pförtner reihenweise Bewegungsmangel bedingt krank werden und tot umfallen.

Erst die ABC-Morbidität von Adipositas, Bewegungsmangel und Co-Faktoren wie metabolisches Syndrom, Hyperinsulinismus, endokrine Pankreasinsuffizienz, Insulinresistenz, idiopathische und genetisch-hereditäre Faktoren machen z. B. den Typ-2-Diabetes mellitus aus.

Nach einer Analyse des australischen "AusDiab-Registers" aus dem Jahr 2011 soll sechs Stunden täglicher Fernsehkonsum das Leben im Mittel um fünf Jahre verkürzen (Br J Sports Med 2011, online 15. August). Unter Verwechslung von Wirkung und Ursache wurde die unsinnige Hypothese aufgestellt, dass "Fernsehkonsum von 6 Std. tgl." s e l b s t aktiv das Leben verkürzen könne.

Andernorts wurde sogar publiziert, möglichst wenig fernzusehen, reduziere präventiv die Prävalenz von Typ-2-Diabetes (JAMA. 2011;305(23):2448-2455). Aber entscheidend bleibt doch: Wir sterben wegen der Endlichkeit aller Lebensvorgänge u n d weil wir uns vor dem Sterben über kurz oder lang nicht mehr so viel bewegen können.

Auch laut der hier angesprochen DKV-Studie der privaten Deutschen Krankenversicherung zum Thema: "Deutsche - Ein Volk von Sitzenbleibern" mit ihrem exzessiven TV-Konsum und durchschnittlich 7,5 Stunden Sitzen pro Tag

Norbert Hopt 12.02.201510:16 Uhr

Arbeiten birgt Gesundheitsrisiken

Pressemitteilung Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und
Gibt es schon!

Umwelt, Dr. Nadja Becker, 08.08.2014 08:35

Hohe Arbeitsbelastung ist Risikofaktor für Typ-2-Diabetes

Neuherberg, 08.08.2014. Eine hohe Belastung im Job kann das Risiko, an
Typ-2-Diabetes zu erkranken, deutlich erhöhen. Das ergab die Auswertung
bevölkerungsbasierter Studiendaten durch Wissenschaftler des Helmholtz
Zentrums München. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift
‚Psychosomatic Medicine‘ veröffentlicht.

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