Suchtkrankheiten

Wirkstoff zum Cannabis-Entzug

Die Blockade der Fettsäureamid-Hydrolase reduziert Symptome beim Cannabis-Entzug. Mit einem Hydrolasehemmer senkten Abstinenzwillige den Konsum um fast 70 Prozent.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Cannabis: Arzneien zur Entwöhnung fehlen.

Cannabis: Arzneien zur Entwöhnung fehlen.

© Joseph Giacomin / Image Sourc

WEST HAVEN. Cannabis-Missbrauch führt in vielen Ländern zu erheblichen Problemen. In US-Studien erfüllten rund 30 Prozent der Konsumenten die DSM-IV-Kriterien für Missbrauch und Sucht, berichten Forscher um Professor Deepak D’Souza vom Connecticut Healthcare System in West Haven. Zur Entwöhnung habe sich für Abstinenzwillige bislang aber keine medikamentöse Therapie etabliert. Im Tierversuch lieferte eine Blockade der Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH) vielversprechende Resultate. Die Hydrolase spaltet endogene Cannabinoide wie Anandamid; ihre Blockade führt damit zu einem erhöhten Spiegel von Endocannabinoiden und sollte so Cannabis-Entzugssymptome wie Craving, Reizbarkeit, Depression, Insomnie und Gewichtszunahme dämpfen. Dies scheint tatsächlich zu klappen, legen nun Daten einer Phase-II-Studie nahe (Lancet Psychiatry 2018; online 7. Dezember).

Entzugssymptome rasch gelindert

An der Studie der Forscher nahmen 70 junge Männer im mittleren Alter von 28 Jahren teil. Sie wollten auf die Droge verzichten und erfüllten die DSM-IV-Kriterien für eine Abhängigkeit. Im Schnitt hatten sie vor Beginn der Studie täglich drei bis vier Joints inhaliert und die Droge seit vielen Jahren regelmäßig konsumiert. Mit dem Kiffen begannen sie im Mittel als 15-Jährige, 90 Prozent gaben an, schon mehr als 1000 Cannabis-Tage hinter sich zu haben. Eine Voraussetzung für die Teilnahme war zudem ein erfolgloser Absetzversuch in der Vergangenheit mit deutlichen Entzugserscheinungen. Die Männer wurden zunächst zum Entzug in eine Klinik eingeladen. Dort bekamen zwei Drittel täglich 4 mg des neu entwickelten FAAH-Hemmers PF-0445784, ein weiteres Drittel Placebo.

Der stationäre Entzug dauerte fünf bis acht Tage, anschließend wurden die Männer nach Hause entlassen und sollten dort die Medikation weitere drei Wochen einnehmen. In dieser Zeit wurde die Adhärenz anhand von Telefonbefragungen sowie Videochat-überwachter Medikamenteneinnahme erfasst. Zusätzlich analysierten die Forscher Medikations-, THC- sowie Endocannabinoid-Metabolite im Urin und Serum.

Als primären Endpunkt wählten sie jedoch Differenzen bei den Entzugssymptomen während des Klinikaufenthalts. Dazu verwendeten sie die „Marijuana Withdrawal Symptom Checklist“. Hier zeigten sich bereits am ersten Tag deutliche Unterschiede: Patienten mit Placebo erreichten 11,0 Punkte, solche mit dem FAAH-Hemmer 6,0 Punkte. Am größten war die Differenz am zweiten Tag mit 5,7 Punkten, anschließend näherten sich die Werte unter Placebo und Verum an. Zum Schluss der stationären Phase wurde noch eine Differenz von 1,4 Punkten gemessen (9,0 versus 7,6 Punkte); signifikant waren die Unterschiede lediglich an den ersten beiden Therapietagen. Insgesamt ließen sich die Entzugssymptome zum Beginn der Entwöhnung deutlich reduzieren, stellen die Forscher fest.

Mehr Endocannabinoide im Serum

Nach vier Wochen rauchten die Männer mit Placebo den eigenen Angaben zufolge im Schnitt wieder 1,3 Joints pro Tag, die mit dem FAAH-Hemmer hingegen nur 0,4 Joints und damit 70 Prozent weniger. Die Angaben schienen halbwegs zu stimmen – so war die Konzentration von THC-Metaboliten im Urin der Männer in der Verumgruppe zweieinhalbfach niedriger als unter Placebo, dafür konnten die Forscher bei ihnen deutlich höhere Werte von Endocannabinoiden im Serum nachweisen.

Männer mit FAAH-Hemmer berichteten zudem über einen verbesserten Schlaf, was sich polysomnografisch bestätigen ließ, auch schnitten sie auf Depressions-, Angst- und Reizbarkeitsskalen besser ab.

Die Adhärenz wurde mit 88 Prozent als hoch bewertet, jeweils 17 Prozent in beiden Gruppen brachen die Therapie ab. 43 Prozent mit Verum und 46 Prozent mit Placebo nannten unerwünschte Wirkungen – auch hier kein signifikanter Unterschied.

Erstmals habe eine Studie Hinweise auf den Nutzen eines FAAH-Hemmers zur Cannabis-Entwöhnung ergeben, schließen die Forscher um D’Souza aus ihren Ergebnissen. Allerdings wirft die Studie einige Fragen auf: Sie war mit vier Wochen relativ kurz, hier darf man auf Langzeitresultate zur Abstinenz gespannt sein. Ob sich die Alltagsfunktion der Cannabiskonsumenten mit FAAH-Hemmern verbessert, bleibt ebenfalls unklar. Schließlich müsste eruiert werden, wie gut solche Medikamente bei Frauen wirken.

Die Studie in Kürze

- Frage: Fördern Fettsäureamid-Hydrolasehemmer die Cannabis-Entwöhnung?

- Antwort: In einer Phase-II-Studie mit 70 Abhängigen wurden damit Entzugssymptome gelindert und der Cannabis-Konsum reduziert.

- Bedeutung: Hydrolasehemmer könnten sich zu einer neuen Therapie bei Cannabis-Abusus entwickeln.

- Einschränkung: Kurze Studiendauer, nur Männer behandelt.

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Kommentar zur E-Zigarette als Entwöhnungsmittel

Nein, mit Dampfen kommt man nicht vom Rauchen los

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Behandlungstipps

Psoriasis und Komorbiditäten: Welche Therapie wirkt am besten?

70 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025

Lesetipps
Dr. Carsten Gieseking

© Daniel Reinhardt

Praxisabgabe mit Hindernissen

Warum Kollege Gieseking nicht zum Ruhestand kommt

Eine Spritze für eine RSV-Impfung liegt auf dem Tisch.

© picture alliance / Ulrich Baumgarten

Update

Umfrage unter KVen

Erst sechs Impfvereinbarungen zur RSV-Prophylaxe Erwachsener