Alter und Versicherung
Zuwanderung – Verjüngungskur für die gesetzlichen Kassen
Die Zuwanderung wirft liebgewordene Gewissheiten über den Haufen. Der Altersschnitt der gesetzlichen Krankenkassen ist seit drei Jahren nicht gestiegen.
Veröffentlicht:BERLIN. Immer mehr Menschen aus der Europäischen Union und Menschen mit anerkanntem Asylstatus drängen auf den Arbeitsmarkt in Deutschland. Zudem wechseln aktuell mehr Menschen aus der privaten Assekuranz in die gesetzliche Krankenversicherung als umgekehrt. Diese Entwicklung bremst eine vermeintlich feststehende Risikokonstante in der gesetzlichen Krankenversicherung ab: Seit drei Jahren stellt die gesetzliche Krankenversicherung keine weitere durchschnittliche Alterung ihres Versichertenbestandes mehr fest. Darauf hat die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, am Donnerstag in Nauen hingewiesen.
Die gesetzliche Krankenversicherung wächst aller demografischen Prognosen zum Trotz. Allein im vergangenen Jahr hat nach Angaben des Verbandes die Zahl der Versicherten in der GKV um 798.000 zugelegt. Und der Trend hält an. Von Juni 2016 bis heute sei die Zahl der Versicherten von 54,6 Millionen auf 55,5 Millionen sogar um 900.000 gestiegen, berichtete Pfeiffer bei einem Treffen mit Journalisten. Nach ersten Erkenntnissen des Spitzenverbandes verursachen die zugewanderten Versicherten in allen Altersgruppen geringere Kosten als der Bestand. Diese Diagnose betrachten die Verantwortlichen in der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch als "vorläufig". Die Zugänge seien jung, gesundheitlich fit und gingen zumindest für den Anfang seltener zum Arzt als die Einheimischen.
Die Zahlen beziehen sich auf Versicherte, für die aus sozialversicherungspflichtigen Einkommen Beiträge bezahlt werden und darüber Familienversicherte. Bezieher von Hartz IV sind nicht Teil dieser Statistik. Sie werden nach Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes abgerechnet, allerdings nicht zu kostendeckenden Sätzen, wie die GKV beklagt.
1 Euro am Tag an Kosten verursacht ein 30-jähriger neu versicherter Mann in der gesetzlichen Krankenversicherung. Bereits länger Versicherte kommen auf knapp den dreifachen Betrag.
Quelle: GKV-Spitzenverband
Die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt sorgt für Stabilität beim Zusatzbeitrag. Aller Voraussicht nach werde der durchschnittliche Zusatzbeitrag auch 2018 bei 1,1 Prozent liegen, sagte Pfeiffer. 2016 zahlen 30 Prozent der Mitglieder mehr als den durchschnittlichten Beitrag, 38,4 Prozent weniger. Die GKV rechnet für 2018 mit einem Einnahmeplus von 1,5 Milliarden Euro auf der Kassenseite und mit einem Defizit für den Fonds von unter einer Milliarde Euro.
Risiken wie der Brexit oder Mehrkosten aufgrund der aktuellen Gesetzgebung und möglichen Entwicklungen nach Neuwahlen bleiben gleichwohl. Uwe Klemens, Vertreter der Arbeitnehmer im Verwaltungsrat, warnte davor, "sich wegen der guten Finanzlage besoffen zu reden". Verwaltungsratschef Volker Hansen mahnte die Kassen an, die guten Zeiten zu nutzen, ihre Hausaufgaben zu machen und die Kosten in den Griff zu bekommen.
Die gute Kassenlage sei nicht von Dauer, sagte Professor Karl Lauterbach, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. In der kommenden Legislaturperiode müssten vor allem die Preise von Medikamenten vom Gesetzgeber stärker reguliert werden.