TK zu ein Jahr Cannabis auf BtM

Cannabis-Report lässt die Blütenträume platzen

Ein Jahr nach dem Start gibt es bei der Verordnung von Cannabis noch keinen Boom. Wissenschaftler und Kassenvertreter fordern ein Nutzenbewertungsverfahren. Sie wollen außerdem die Schmerzgesellschaften stärker involviert sehen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Seit einem Jahr können Ärzte Cannabis auf Kassenkosten verordnen.

Seit einem Jahr können Ärzte Cannabis auf Kassenkosten verordnen.

© Africa Studio / stock.adobe.com

BERLIN. Seit 14 Monaten dürfen Ärzte Cannabis zu therapeutischen Zwecken verordnen. Der am Donnerstag in Berlin vorgestellte Cannabis-Report der Techniker Krankenkasse (TK) lässt nur einen Schluss zu: Ein Dammbruch ist ausgeblieben. Insgesamt hat die mit gut zehn Millionen Versicherten größte Krankenkasse in Deutschland im ersten Jahr für rund 2000 Patienten 2,3 Millionen Euro für Cannabisblüten und Dronabinolrezepturen, weitere 600.000 Euro für cannabishaltige Fertigarzneimittel ausgegeben. "Die Verordnungsfähigkeit von Cannabisprodukten hat praktisch keine finanziellen Auswirkungen auf die Krankenkasse", sagte TK-Chef Dr. Jens Baas bei der Vorstellung des Reports in Berlin. Gegenüber den Gesamtausgaben der TK für Arzneimittel von 4,3 Milliarden Euro im Jahr geht der Posten völlig unter.

Die für Deutschland ermittelten rund 30.000 mit Cannabis versorgten Patienten seien "keine überraschend hohe Zahl", sagte ReportAutor Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Aber: Zuwachs wird erwartet. Das Aufkommen könnte sich in den kommenden Jahren verdoppeln bis verdreifachen, schätzt Baas.

Evidenz zweifelhaft

Mit der Studienlage zu Cannabisprodukten sind viele Ärzte, Wissenschaftler und Kassenvertreter nicht zufrieden. Zwar gebe es viele Indikationen für Cannabis, aber nur geringere wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz. Kein Cannabisprodukt würde eine frühe Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und den Gemeinsamen Bundesausschuss überstehen, ist sich Glaeske sicher. Gerade für die therapeutische Wirksamkeit der Blüten, die mehr als 450 wirksame Stoffe enthalten, gebe es wenig Evidenz, obwohl ausgerechnet dafür die höchsten Preise aufgerufen würden.

Gleichwohl gebe es im klinischen Alltag immer wieder Patienten, die von einer Cannabis-Therapie profitierten, berichtete Professor Michael Schäfer, Anästhesiologe an der Charité. Die in Deutschland weitverbreitete Annahme, Cannabis könne neuropathische Schmerzen besser lindern als andere Therapien, aber gehe in die Irre. Klinische Studien zeigten, dass nicht einmal eine 50-prozentige Schmerzreduktion erreicht werde, sagte er. Nur bei jedem 14. Patienten würde eine 30-prozentige Schmerzlinderung erreicht.

Eine vom Gesundheitsministerium geförderte Analyse zu "Cannabis: Potential und Risiko (CAPRIS)" unter Federführung der Ludwig-Maximilians-Universität München kommt zu ähnlichen Schlüssen. Die Studie werde in Kürze veröffentlicht, sagte Schäfer.

Baas, Glaeske und Schäfer forderten, die Begleitforschung zu Cannabis aus der Zuständigkeit des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herauszulösen und den Schmerzgesellschaften zu übertragen. Die Studien sollten von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Im Anschluss sollten die Produkte dann den AMNOG-Prozess durchlaufen.

Die meisten Anträge genehmigt

 64 Prozent der 2900 Anträge wurden im ersten Jahr seit der medizinischen Freigabe von der TK genehmigt, so Vorstandsvorsitzender Baas. Die meisten Anträge würden zur Behandlung von Schmerzen gestellt.

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Mehr als zwei Drittel aller Anträge bezogen sich auf den Wirkstoff Dronabinol – weniger als ein Drittel auf Cannabisblüten. Dronabinol-Tropfen oder -Kapseln seien leichter anzuwenden, verlässlicher in der Wirkung und kosteten nur einen Bruchteil im Vergleich zu Blüten, so die TK.

Bei den meisten Ablehnungen habe der MDK auf alternative Therapieoptionen verwiesen; zweithäufigster Ablehnungsgrund seien unvollständige Anträge gewesen, die zum Teil aus der Unwissenheit über den Cannabiseinsatz stammten, erläuterte die TK.

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Einsamer Spitzenreiter bei den Cannabis-Verordnungen ist den Kassendaten zufolge das Saarland: Rund 208 Verordnungen pro 100.000 Versicherte gab es 2017 im Südwesten. Es folgen Bayern, Baden-Württemberg und Bremen mit zwischen 151 und 155 Verordnungen. (Mitarbeit ajo/Grafiken ths)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Cannabis - Eine AMNOG-ferne Welt

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 18.05.201811:12 Uhr

Die TK-Kritik muss sich an den richtigen Adressaten richten!

Es bleibt der Techniker Krankenkasse und ihrem Vorstandsvorsitzenden Dr. med. Jens Baas natürlich völlig unbenommen, den wahllosen und regional völlig unterschiedlichen Cannabis-Einsatz zu kritisieren.

Aber schuld daran sind weder Ärztinnen und Ärzte, noch die Apotheken oder unsere Patientinnen und Patienten. Einzig und allein der Gesetzgeber und der Deutsche Bundestag haben in einer beispiellos dilettantisch-populistischen Schnellschuss-Reaktion eine nicht validierte pflanzliche Mischdroge in krassem Widerspruch zum gültigen Arzneimittelgesetz zugelassen: Nur, um damit dem Druck von Öffentlichkeit und Medien nachzugeben.

Im Gegensatz zu Standards bei pharmakologischer Forschung und Entwicklung hat der Gesetzgeber sich nicht auf bereits verfügbare, standardisierte und kontrollierte Cannabis-Zubereitungen beschränkt, sondern auch auf Cannabis-Blüten oft unbestimmbarer Provenienz und Wirksamkeit als therapeutische Alternative kapriziert, ohne jemals einen überprüfbaren Indikationenkatalog vorlegen zu können.

So wurde das mit weitem Abstand substanz- und haltloseste, schlechteste und unbestimmbarste Gesetz verabschiedet, das ich kenne. Wer den Wortlaut recherchiert, wird erst nach langem Suchen fündig. Hier ist er:

"§ 31 Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung“.
2. Folgender Absatz 6 wird angefügt:
„(6) Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Verordnet die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach § 37b, ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von § 13 Absatz 3a Satz innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wird mit einer bis zum 31. März 2022 laufenden nicht interventionellen Begleiterhebung zum Einsatz der Arzneimittel nach Satz 1 beauftragt. Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt, die oder der die Leistung nach Satz 1 verordnet, übermittelt die für die Begleiterhebung erforderlichen Daten dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in anonymisierter Form; über diese Übermittlung ist die oder der Versicherte vor Verordnung der Leistung von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt zu informieren. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte darf die nach Satz 5 übermittelten Daten nur in anonymisierter Form und nur zum Zweck der wissenschaftlichen Begleiterhebung verarbeiten und nutzen. Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Umfang der zu übermittelnden Daten, das Verfahren zur Durchführung der Begleiterhebung einschließlich der anonymisierten Datenübermittlung sowie das Format des Studienberichts nach Satz 8 zu regeln. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Begleiterhebung nach Satz 4 regelt der Gemeinsame Bundesausschuss innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung der Ergebnisse der Begleiterhebung in Form eines St

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