Berufs-Ideale

Von der Entwertung des Ärztlichen

Immer weniger Zeit für die Patienten und mehr ökonomische Zwänge: Viele Ärzte fragen sich, wo ihr beruflicher Alltag noch mit dem Ideal ihres einst ausgewählten Berufes übereinstimmt. Medizinethiker Giovanni Maio weißt einen Ausweg.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Hippokrates, was ist aus unseren Werten geworden?

Hippokrates, was ist aus unseren Werten geworden?

© Hölling / imago

KIEL. Mit Freude Arzt sein: dieses Leitmotiv haben sich Ärztegenossenschaft Nord und Q-Pharm gegeben. Wie aber soll das gelingen?

In einer Veranstaltung in der Kieler Uni machten sie den Versuch, den Ärzten darauf eine Antwort zu geben.

Professor Maio, Medizinethiker der Uni Freiburg, sprach den Ärzten aus der Seele, als er eine Vertrauenskrise für die Medizin konstatierte - "weil sie zuweilen nicht weiß, was sie überhaupt ist und welche Werte für sie handlungsleitend sein sollen."

Das Problem der modernen Medizin besteht nach seiner Beobachtung darin, dass sie nicht mehr über den Dienst eines Mitmenschen spricht, sondern nur noch über Dienstleistungen, Kunden, Qualitätsmanagement, Wettbewerbsfähigkeit und Marketing.

Maios These: Die Krise der modernen Medizin hängt damit zusammen, dass sie sich heute mehr als Markt und weniger als soziale Errungenschaft versteht.

Dazu haben folgende Punkte beigetragen:

Standardisierung: verrichten, messen, prüfen, nachweisen - all dies wird heute auch in der Medizin verlangt. Damit wird versucht, ein aus der Betriebswirtschaft kommendes System auf die Medizin zu übertragen.

Und weil Denkkategorien der Ökonomie zu Leitkategorien der Gesellschaft erklärt werden, gerät dieses System zunehmend von einem Begleitumstand zum Leitparadigma der gesamten ärztlichen Arbeit.

Als Folge wird die Medizin als Produktionsprozess begriffen - Heilen wird zum Herstellungsprozess.

Beschleunigung: Mehr Effizienz zwingt zur Beschleunigung. Damit droht am Ende wegrationalisiert zu werden, worauf es bei der Gesundung zentral ankommt: die Zeit für das Zulassen und Annehmen eines gemeinsamen Weges von Arzt und Patient. Ruhe, Zuversicht und langer Atem aber vertragen sich nicht mit Erfolgsdruck.

Entwertung des Ärztlichen: Statt Ärzten sind im modernen System eher Manager gefragt, die vorgegebene Behandlungspakete gekonnt zusammenbauen.

Ein ganzheitlich denkender Arzt, der nicht nur ein Organ und eine DRG sieht, ist nicht mehr gefragt - Ärzte werden quasi dafür belohnt, nicht mehr ganzheitlich zu denken.

Vertragsbeziehung ersetzt Vertrauensbeziehung: Distanzierte Dienstleistung statt persönlicher Fürsorge - dies ermöglicht die Abwicklung einer Sachleistung, die vertraglich geregelt wird.

"Dass man aber in der Ablösung des an die Persönlichkeit gebundenen Vertrauensverhältnisses durch ein sachlich-unpersönliches Vertragsverhältnis den Kerngehalt dessen aufgelöst hat, worauf der Hilfe suchende Patient existenziell angewiesen ist, wird hier kaum bedacht", mahnte Maio.

Wie aber können Ärzte diesem Trend entgegen wirken? Ein Arzt braucht laut Maio Zeit für den Patienten, er muss eine authentische Beziehung aufbauen können, er muss Aufmerksamkeit schenken und mit dem Patienten kommunizieren und sich schließlich eine grundlegende Wertschätzung für den Patienten bewahren.

"Der Wert und der Kern des Arztberufs liegt eben nicht im Heilenkönnen, sondern vor allen Dingen darin, dass sich ein Mensch eines anderen Menschen in seiner Not annimmt."

Und die Ökonomie? Sie ist für Maio keinesfalls überflüssig in der Medizin, sondern wichtig, um keine Ressourcen zu verschwenden.

"Die Ökonomie ist also eine Dienerin der Medizin, eine Disziplin, die der Medizin hilft, indem sie durch das vernünftige Wirtschaften eben erst die Freiräume ermöglicht, in denen Medizin überhaupt erst realisiert werden kann."

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Kommentare
Dr. Dr. Winfried Miller 06.08.201214:03 Uhr

Es gibt eine einfache Lösung - Privatpraxis!

Zeit für seine Patienten zu haben ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine individualisierte Hilfe/Unterstützung.
Das gelingte niemals in einer Kassenpraxis!

Sehr gut gelingt es hingegen in einer Privatpraxis mit maximal 12 Patienten pro Tag. Das bedeutet: Verabschiedung vom personellen Überbau, viel Selbermachen, Zeit für Vorbereitung und Nachbereitung. FAZIT: So macht Medizin für/mit Patienten auch nach 23 Jahren noch Spass!

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