Pilotprojekt
Gemeinde-Notfallsanitäter entlasten Notärzte
Rund ein Drittel aller Rettungswageneinsätze ist medizinisch nicht notwendig. Ein Modellprojekt im Raum Oldenburg soll klären, ob speziell ausgebildete Rettungssanitäter in vielen Fällen den Notarzteinsatz verzichtbar machen können.
Veröffentlicht:VECHTA. Um Notärzten den Rücken für lebensrettende Einsätzen freizuhalten und Kosten im Rettungswesen zu senken, haben die Stadt Oldenburg und die Landkreise Ammerland, Cloppenburg und Vechta am Mittwoch ein Pilotprojekt gestartet.
Gemeinde-Notfallsanitäter sollen künftig in Fällen zum Einsatz kommen, bei denen ein Transport in eine Klinik nicht erforderlich ist.
Die Einsatzzahlen im Rettungsdienst steigen seit Jahren, dabei sind nach Expertenschätzung rund 30 Prozent davon keine echten Notfälle, sagte Herbert Winkel (CDU), Landrat des Landkreises Vechta. Bundesweit hätten sich die Kosten für die Rettungswageneinsätze zwischen 2008 und 2018 auf 2,1 Milliarden Euro verdoppelt.
Dreimonatige Zusatzqualifikation
Das zwei Jahre lang laufende Projekt wird wissenschaftlich von den Universitäten Oldenburg, Maastricht und dem Klinikum Oldenburg begleitet. Bevor die Gemeinde-Notfallsanitäter eingesetzt werden, müssen die Fachkräfte eine dreimonatige Zusatzqualifikation im Umfang von 440 Stunden absolvieren.
Es müssen Notfallsanitäter sein, die mindestens fünf Jahre Berufserfahrung im Rettungsdienst mitbringen und wenigstens 25 Jahre alt sind, sagte Projektsprecher Oliver Peters vom Malteser-Verband Oldenburger Münsterland.
Vorbild sei ein vergleichbares Projekt in den USA, bei dem enorme Kosteneinsparungen nachgewiesen wurden bei gleichzeitig hochwertiger Patientenversorgung.
Gemeinde-Notfallsanitäter könnten auch ein Mittel sein, um die bestehende Unterversorgung in vielen Regionen Deutschlands zu verringern, sagte Peters.
Kosten von 350.000 Euro pro Jahr
Die Betriebskosten eines Rettungswagens betrügen pro Jahr 500.000 Euro, ein Gemeinde-Notfallsanitäter koste pro Jahr nur 350.000 Euro.
Derzeit müssen die Disponenten in den Leitstellen den Notarzt schicken, auch wenn gar kein Arzt notwendig wäre – entweder wird ein Rettungswagen geschickt, oder die Leitstelle entscheidet sich dagegen.
Seitens des Landes gibt es keine Zahlen über die Entwicklung der Einsatzzahlen der Rettungsdienste, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die Krankenkassen sowie die beteiligten Rettungsdienste erwarteten durch das Projekt eine Eindämmung der Einsätze im Rettungsdienst.
„Das Innenministerium begrüßt und begleitet diese Initiative ausdrücklich“, hieß es aus dem Ministerium. Hiermit werde ein neuer Weg zur besseren präklinischen Versorgung der Bevölkerung beschritten.
AOK: Mutige Idee
Das Projekt der Gemeindenotfallsanitäter sei eine mutige Idee, um der Entwicklung von immer mehr Rettungseinsätzen und den überfüllten Notaufnahmen der Krankenhäuser entgegenzuwirken, sagte der AOK-Unternehmensbereichsleiter Jens Tiedemann: „Wir sind der Überzeugung, dass es in Zukunft diese und mehr mutige Ideen braucht, um die Gesundheitsversorgung von heute in ein zukunftsfähiges System zu überführen.“
Beim Städte- und Gemeindebund Niedersachsen will man das Projekt aufmerksam beobachten. „Der Disponent hat eine große Verantwortung – er muss letzten Endes herausfinden, ist das ein Fall, in dem ein Arzt rausfahren muss oder nicht“, sagt Verbandssprecher Thorsten Bullerdiek.
Um auf Nummer sicher zu gehen, werde der Verantwortliche den Notarzt einmal zu viel rausschicken als zu wenig. So müsse man schauen, ob das Projekt die erhofften Effekte bringe. „Wenn es funktioniert, ist es sicherlich auch für andere Regionen interessant.“
Überregionale Aufmerksamkeit
Schon vor seinem Start hat das Projekt in Niedersachsen überregional Aufmerksamkeit erzeugt. Auf Antrag der CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag hat das Landesinnenministerium den Abgeordneten über das Projekt berichtet.
Dabei beziffert das Ministerium die Zahl der Rettungseinsätze im Raum Oldenburg im Jahr 2015 auf knapp 54.000. Dabei seien rund 14.000 so eingestuft worden, dass sie laut Konzept in die Zuständigkeit der Gemeindenotfallsanitäter gefallen wären, heißt es in der Vorlage.
„Neben der Entlastung des Rettungsdienstes und der stationären Einrichtung wird ebenfalls angestrebt, die Betriebskosten zusätzlicher RTW-Wachen einzusparen, die aufgrund dem Einsatzaufkommen und der einzuhaltenden Hilfsfrist nötig wären“, berichtet das Ministerium.
Ob das realistisch ist, könne nicht beurteilt werden. Das Projekt befinde sich in der Testphase „und die Ergebnisse müssen abgewartet werden“. (dpa/lni/fst)
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