AOK-Krankenhausreport

19.000 tödliche Behandlungsfehler

In Krankenhäusern passieren viele vermeidbare Fehler, heißt es im aktuellen AOK-Krankenhausreport. BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery wirft der Kasse ein "durchsichtiges politisches Manöver" vor.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Ordnung ist das halbe Leben - gerade im OP.

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BERLIN. Der AOK Bundesverband schlägt Alarm: Seinen Angaben zufolge sterben fünfmal so viele Menschen durch Behandlungsfehler im Krankenhaus als im Straßenverkehr.

Bei etwa fünf bis zehn Prozent der 18,8 Millionen Krankenhausbehandlungen finde zudem ein unerwünschtes Ereignis wie zum Beispiel eine allergische Reaktion oder eine Entzündung einer Operationswunde statt. Das geht aus dem AOK Krankenhausreport 2014 hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Demnach kommen Fehler mit einer Häufigkeit von einem Prozent aller Krankenhausfälle vor und tödliche Fehler mit einer Häufigkeit von rund einem Promille. "Ein Fall von 1000 bedeute auf dem heutigen Versorgungsniveau rund 19.000 Todesfälle in deutschen Krankenhäusern pro Jahr auf Basis von Fehlern", betonte Professor Max Geraedts von der Uni Witten/Herdecke.

Knapp die Hälfte dieser unerwünschten Ereignisse gelte als vermeidbar. Krankenhausinfektionen, die jährlich rund vier Prozent der Patienten erlitten, seien durch Hygienemaßnahmen oft vermeidbar.

"Es bleibt zum Beispiel wesentlich, im Behandlungsalltag auf ausreichende Händedesinfektion zu drängen", so Geraedts. Eine Zielmarge von 80 Prozent werde heute von den Krankenhäusern noch nicht durchgängig erreicht, sie liege bei einigen Krankenhäusern bei gerade einmal 50 Prozent.

Bei der Einführung neuer Medizinprodukte oder neuer Behandlungsverfahren lassen sich mit Registern wichtige Erkenntnisse zu Gefährdungen der Patientensicherheit gewinnen. Dabei beruft sich der AOK Bundesverband auf Zahlen aus dem Jahr 2007. "Wir gehen jedoch davon aus, dass diese Zahlen immer noch aktuell sind und es weiterhin Handlungsbedarf gibt", sagte Geraedts.

Ärzteschaft reagiert pikiert

Aus Sicht des AOK Bundesverbandes gibt es zu viele Fehlanreize in der Krankenhauslandschaft. "Ein Beispiel ist die riskante Mengenentwicklung bei bestimmten lukrativen Eingriffen wie Rückenoperationen", sagte AOK-Vorstand Uwe Deh.

Wenn Operationen nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen durchgeführt würden, sei die Patientensicherheit schnell in Gefahr. "Viele Krankenhäuser versuchen, sich zu ‚kleinen Universitätskliniken‘ zu entwickeln, die alles anbieten" so Deh.

Für eine hochwertige medizinische Versorgung sei jedoch Spezialisierung das Gebot der Stunde. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Gründung eines Qualitätsinstituts sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Wer tatsächlich Versorgungsprobleme beseitigen wolle, müsse aber einen Schritt weiter gehen und die Krankenhauslandschaft modernisieren. Der Koalitionsvertrag mit seiner Qualitätsoffensive biete hierfür eine gute Orientierung, so Dehs Forderung Richtung Politik.

Ärzte reagierten empört auf die Ergebnisse des Reports. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery warf der AOK ein "durchsichtiges taktisches Manöver" vor. "Fehler passieren, auch in der Medizin. Wir kehren diese Fehler aber nicht unter den Tisch, sondern wir lernen aus ihnen und wir setzen uns dafür ein, dass den betroffenen Patienten schnellstmöglich geholfen wird", so Montgomery.

Zudem müsse die Zahl der festgestellten schwerwiegenden Behandlungsfehler im Verhältnis zur Gesamtzahl der rund 18 Millionen Behandlungsfälle in den Krankenhäusern und mehr als 540 Millionen allein im vertragsärztlichen Bereich gesehen werden.

"Jeder Fehler ist ein Fehler zu viel, und dennoch müssen wir sehen, dass sich die Zahl dieser Behandlungsfehler im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Behandlungsfälle im Promillebereich bewegt", so Montgomery. Zu beachten sei auch, dass der Verdacht auf einen Behandlungsfehler noch kein Behandlungsfehler sei.

Politik drängt auf neues Qualitätsinstitut

"Wirklich schlimm ist es, wenn der Behandlungsfehler mit Pfusch gleichgesetzt wird. Pfusch ist vorsätzlich, aber Ärzte schädigen Patienten nicht vorsätzlich. Wir wollen auch nicht vertuschen, ganz im Gegenteil. Wir setzen uns für Transparenz ein", sagte der BÄK-Präsident.

Auch Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe kritisiere den Report: "Ich dachte, die Zeit des Anprangerns ist seit dem Mittelalter vorbei." Patienten seien in Kliniken durchaus gut aufgehoben.

Darauf verwies auch Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft: "Nie hatten wir höhere Sicherheitsstandards in den Kliniken." Jede medizinische Behandlung berge Risiken, die auch unter optimalen Bedingungen zu unerwünschten Ereignissen führen könnten.

Diese zu identifizieren und durch systematische organisatorische Vorkehrungen zu minimieren und auszuschließen, werde von allen Krankenhäusern angestrebt und durch konkrete Initiativen umgesetzt.

CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn sagte: Wichtig sei es, aus den Fehlern zu lernen. In den Kliniken sei eine neue Fehlerkultur notwendig. Patienten, Pfleger und Ärzte profitierten, wenn Fehler nicht mehr unter den Teppich gekehrt würden.

"Mit dem Patientenrechtegesetz wurde bereits ein wichtiger Schritt getan", so Spahn. Das zentrale Vorhaben dieser Koalition sei die Verbesserung der Qualität in allen Bereichen des Gesundheitswesens.

"Dazu werden wir ein eigenes Institut gründen, um alle notwendigen Daten rund um die Behandlung im Krankenhaus und beim Arzt zusammenzuführen, auszuwerten und zu veröffentlichen", betonte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 25.01.201410:21 Uhr

"Ich klage an!"

Es ist ungewöhnlich, dass ich eine Ärzte Zeitung online Meldung vom 21. 1. 2014 erst vier Tage später kommentiere. Aber ich hatte selbstverständlich gehofft und erwartet, dass aus berufenerem Mund, von den Klinikkollegen/-innen, den öffentlichen und gemeinnützigen Krankenhausträgern der Stadt- und Landkreise, den privaten Klinikkonzernen, den Chefärzten, von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der Politik und der Bundesärztekammer (BÄK) i n h a l t l i c h begründete Kritik statt eher von Eigeninteressen geprägter Lobbyismus-Smalltalk kommen.

Ist es nicht geradezu unerträglich, dass ausgewiesene "Gesundheits"-Ökonomie-Experten und Gesundheits-System-Forscher im gemeinsamen Chor mit der AOK-"Gesundheitskasse" einen aktuell publizierten "Krankenhausreport 2014" herausgeben? Um mit angeblich empirisch-epidemiologisch belastbaren Klinik-Personal-Patientendaten bzw. willkürlichen Hochrechnungen auf jährlich 19.000 tödliche verlaufende ärztliche Behandlungsfehler in Deutschen Krankenhäusern zu kommen? Es blieb nicht bei der u. U seriösen Interpretation von Ursachen, Wirkungen, Kausalitäten und Konsequenzen bei real existierenden Missständen, Versorgungsdefiziten und Problemen im stationären Krankenversorgungsbereich. Ein konstruktiver, sinnvoller Ist-Soll-Vergleich in der klinischen Versorgungsforschung wäre eine Chance für konkrete Verbesserungen gewesen. Das

• Wissenschaftliche Institut der Allgemeinen Ortskrankenkassen AOK (WIdO),
• Jürgen Klauber, Geschäftsführer des WIdO,
• Prof. Dr. Max Geraedts, Leiter des Instituts für Gesundheitssystemforschung an der Universität Witten/Herdecke,
• Prof. Jürgen Wasem vom Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie der Universität Duisburg-Essen,
versuchen dagegen allen Ernstes gemeinsam mit Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes, diese jährlichen 19.000 Todesfälle in Beziehung setzen zu wollen mit den ca. 4.000 Verkehrstoten, die pro Jahr bei 2,4 Millionen polizeilich erfassten Verkehrsunfällen (2011) in Deutschland zu beklagen sind.

Vorsätzlich unterschlagen wird dabei von „Gesundheitswissenschaftlern“ und ihrem „AOK-Echo“, dass es sich bei Krankenhauspatienten um kritisch Kranke handelt, eine gegenüber i. d. R. gesunden oder ambulant medizinisch betreuten Straßenverkehrsteilnehmern überalterte Klientel mit vitalen körperlichen, mentalen, kognitiven und perzeptiven Defiziten bzw. Risikofaktoren: Akut und/oder chronisch multimorbide Patienten mit erhöhter Dekompensations-, Sturz- und Mortalitätsgefahr. Selbst palliativ, präfinal oder terminal Kranke werden mit hohem Mortalitätsrisiko stationär therapiert, deren Teilhabe am Straßenverkehr a priori ausgeschlossen ist.

Alte, chronische und krisenhaft kritische Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK), Myokardinfarkt (MI), Schlaganfall (Stroke), Krebs, Metastasen, Infektionen, Sepsis, Asthmastatus, COPD-Exazerbation, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK), Rheumaschüben, Kollagenosen, Systemerkrankungen, degenerativen und entzündlichen Gelenkerkrankungen, hypertensiven Krisen, Herz-, Nieren-, Leber-, Pankreas-Insuffizienz, Diabetes, Darmerkrankungen, Beatmungspflichtigkeit und Multiorganversagen müssen ebenso stationär versorgt werden wie Selbst- und Fremdgefährdung, Suchtkrankheiten, Suizidalität, Psychosen, Neurosen, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Zwangskrankheiten. Nicht zu vergessen Unfall-, Verletzungs- und Verbrennungsopfer bzw. alle interventionellen Patienten der verschiedenen operativen Fachdisziplinen. Sie alle müssen mit hohem Personaleinsatz in Pflege und Medizin auf Intensivstationen (ICU), Intermediate Care (IMCU), Stroke Unit (SU), Katheterlabor, Endoskopie, OP, Wachstation, Funktions- und Versorgungsabteilungen prä-, peri- und postinterventionell krankenpflegerisch und ärztlich versorgt werden.

Dagegen sind Straßenverkehrsteilnehmer durchschnittlich wesentlich jünger und i. d. R. im Vollbesitz ihrer körperliche

Ingrid Gasber 23.01.201408:05 Uhr

Wahrheiten hatten es schon immer schwer

Erst Betroffenheit lässt die Augen klar sehen. Alle anderen sollten besser schweigen, denn sie können zur Sache nicht wirklich beitragen.

Dr. Richard Barabasch 22.01.201411:55 Uhr

Anmache !

Was Herr Kollege Schlön bemerkt ist zu ergänzen durch die Faktenlage, dass es sich bei Verkehrtoten um eindeutig im Strassenverkehr ums Leben gekommene reale Mitmenschen handelt, bei der AOK-Panikmache jedoch um eine theoretische Hochrechnung ohne einen einzigen Realbezug zu einem einzigen Toten durch einen eindeutigen Behandlungsfehler. Unter philosophischen Gesichtspunkten könnte "man" von einer Undiszipliniertheit des Denkens" sprechen, tatsächlich muss "man" die Verlautbarung aber als eine unverschämte und verächtliche gezielt-provozierende Volksverdummung brandmarken, die nur scheinbar statistisch korrekt ist, aber von der Motivation her eindeutig nicht nur "Birnen mit Äpfel" vergleicht, sondern Äpfel mit Rossäpfeln,
meint
Dr. Richard Barabasch

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