Daten geben Hinweis
PEI-Chef: „Brauchen wohl jährliche Corona-Auffrischimpfungen“
Wie oft gegen COVID-19 impfen? Und was sollten Deutschland und Europa aus anderthalb Jahren Impfstoffentwicklung unter Pandemiebedingungen lernen? Auf dem Hauptstadtkongress wurden Antworten gesucht – und gefunden.
Veröffentlicht:Berlin. Impfgipfel in Berlin: Beim Hauptstadtkongress gaben sich am Donnerstagnachmittag der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Vertreter von Bundesregierung und bayerischer Staatsregierung sowie zwei Topmanager von BioNTech und Pfizer die Ehre.
Diskutiert wurde natürlich zunächst über die Bekanntgabe der Zwischenergebnisse des mit viel Hoffnungen und Vorschusslorbeeren gestarteten CureVac-Impfstoffs. Er weist ersten Daten zufolge eine Effektivität von nur 47 Prozent auf – deutlich niedriger als die bei den vier bisher in Europa zugelassenen Vektor- und mRNA-Impfstoffen.
„Keine wesentliche Einschränkung der Kampagne zu erwarten“
PEI-Chef Professor Klaus Cichutek wies darauf hin, dass der Impfstoff schwerpunktmäßig in Südamerika getestet wurde, wo ein hoher Anteil teils schlecht charakterisierter SARS-CoV-2-Varianten es dem Impfstoff möglicherweise besonders schwer gemacht habe.
Jetzt müsse genauer nachgesehen werden, gegen welche Varianten der Impfstoff wie wirksam ist: „Aus unserer Sicht ist ganz klar, dass CureVac die Impfstoffentwicklung nicht aufgeben sollte. Diese Impfstoffe haben Potenzial“, so Cichutek.
Für das Bundesgesundheitsministerium wies Generalstabsarzt Hans-Ulrich Holtherm, Leiter der Abteilung Gesundheitsschutz, Gesundheitssicherheit, Nachhaltigkeit, darauf hin, dass der Tübinger Impfstoff vom Ministerium nicht fest eingeplant war. Daher sei keine wesentliche Einschränkung der Impfkampagne zu erwarten.
Dieser Einschätzung schloss sich auch Gesundheitsstaatsminister Klaus Holetschek aus Bayern an: „Es ist schade, dass Lauterbach heute CureVac so strikt abgeschrieben hat. Wir sollten nicht den Stab über etwas brechen, das wir im Detail noch nicht ganz beurteilen können.“
Impfungen für Kinder unter 12 Jahre schon am Jahresende?
Eng mit der Impfstoffverfügbarkeit zusammen hängt die Frage der künftigen Auffrischimpfungen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte beim Hauptstadtkongress mitgeteilt, dass sich die EU für 2022/2023 bis zu 1,8 Milliarden BioNTech/Pfizer-Dosierungen vertraglich gesichert habe. Werden die auch gebraucht?
Was das teilweise in die Diskussion gebrachte Auffrischen von Impfungen bei Risikopersonen schon im Herbst angeht, äußerte sich Cichutek eher zurückhaltend: „Die Daten deuten im Moment darauf hin, dass wir jährliche Auffrischimpfungen brauchen werden. Es würde mich freuen, wenn die Booster-Impfungen für eine breitere Immunität genutzt würden, sodass wir besser geschützt sind gegen Varianten. Von der Idee, jetzt nach einem halben Jahr sofort wieder die nächste Impfung zu machen, halte ich nichts. Die Daten sind noch nicht so weit.“
Chronik der Entwicklung und Ereignisse
Alles zur Corona-Impfung
Wie sieht es bei den Kindern unter 12 Jahren aus, für die es bisher noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt? Hier ruhen die Augen der Welt im Moment auf BioNTech/Pfizer und auf Moderna. Sierk Pötting, CFO/COO von BioNTech, zeigte sich vorsichtig optimistisch, dass es noch in diesem Jahr so weit sein könnte: „Das ist aber Spekulation, wir müssen erst die Daten sehen. Die Studien laufen gut, so dass es Ende des Jahres eine Zulassung geben könnte.“ Was die Varianten angeht, sei allen Impfstoffherstellern klar, dass jede neue Variante überprüft werden müsse. Außerdem sei es wichtig, schnell reagieren zu können.
Wichtiger als Impfstoffmodifikationen sei im Moment aber das Hochfahren der Gesamtkapazitäten: „Die Welt ist noch lange nicht durchgeimpft. Das ist das größere Problem als der Herbst hierzulande.“
Innovationsfreundliche Prozesse sollen erhalten bleiben
Große Einigkeit herrschte, dass – bei allen berechtigten Kritikpunkten – Europa und speziell Deutschland die Leistungsfähigkeit seiner Medikamentenforschung und seiner Impfstoffentwicklung unter Beweis gestellt habe. Holetschek plädierte dafür, die Chance zu nutzen und einige Lektionen der letzten anderthalb Jahre in Veränderungen der politischen Entscheidungsstrukturen umzumünzen. Dabei gehe es nicht darum, den Föderalismus abzuschaffen, betonte er, sondern zu überlegen, an welchen Stellen mehr Staat nötig sei und auch, wo er vielleicht weniger gebraucht werde.
Was das Thema Arzneimittelzulassungen angeht, hoben die Industrievertreter die starke Beschleunigung der Genehmigungs- und Zulassungsprozesse hervor, die die Corona-Krise – Stichwort Rolling Review Verfahren – gebracht habe. „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir eine echte Innovationskultur schaffen“, sagte Peter Albiez, bis vor wenigen Wochen Vorsitzender der Geschäftsführung der Pfizer Pharma GmbH.
Insbesondere bei klinischen Studien, die in Deutschland weiterhin deutlich bürokratischer seien als in anderen Ländern, wünsche er sich, dass möglichst viel von dem kooperativen Geist der Impfstoffentwicklung in den Corona-Monaten erhalten bleibe.
Auch das PEI könnte von Stärkung der EMA profitieren
Dass die Corona-Krise eine „Europäische Gesundheits-Union“ bringen könnte, daran zweifelte BMG-Abteilungsleiter Holtherm: „Wir brauchen eine intensive und kooperative Zusammenarbeit.“ Seitens der EU-Kommission hat von der Leyen mit Blick auf COVID-19-Therapien eine Stärkung der European Medicines Agency (EMA) angekündigt.
Cichutek wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass die EMA nicht nur die rund 1000 Mitarbeiter starke Behörde in Amsterdam sei, sondern auch das Netzwerk nationaler Experten, das ihr zuarbeite: „Wenn von der Leyen sagt, dass sie die EMA stärken will, freue ich mich auf eine Stärkung des PEI.“
Die schnellen Zulassungen seien möglich gewesen, weil alle Ressourcen der Behörde darauf konzentriert wurden. Wenn es weiterhin schnell gehen soll, müsse diese starke Konzentration entweder beibehalten oder es müssten neue Ressourcen geschaffen werden.