Nocebo-Effekt mit im Spiel
Weniger Post-/Long-COVID als befürchtet
Auf den deutschen Intensiv- und Normalstationen gibt es immer weniger Corona-Patienten. Und die Zahl der von Post-/Long-COVID-Betroffenen ist vermutlich geringer als befürchtet, berichten Pneumologen.
Veröffentlicht:Leipzig. Gegenwärtig werden etwa 770 Patienten mit COVID-19 auf deutschen Intensivstationen behandelt. „Das ist die geringste Zahl seit über einem halben Jahr“, erklärte Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, und Präsident des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Leipzig.
Weniger als vier Prozent der Intensivbetten in Deutschland sind nach seinen Angaben derzeit mit COVID-19-Patienten belegt (siehe nachfolgende Grafik).
Auch die Zahl infizierter Pflegekräfte sowie von Ärztinnen und Ärzten sei seit Wochen kontinuierlich rückläufig. Entscheidender Grund dafür sei der Impffortschritt, betonte Kluge bei einer Vorab-Pressekonferenz zum DGP- Kongress. Er bezeichnete Impfungen als eine der größten medizinischen Innovationen der vergangenen 50 Jahre. Die DGP unterstützt ausdrücklich die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkomission (STIKO).
Etwa 5 Prozent der Patienten suchen ärztliche Hilfe
Die Zahl der tatsächlich an einem Post/Long-COVID-Syndrom Erkrankten ist womöglich deutlich geringer als vermutet. Darauf wies Dr. Christian Gogoll von der Evangelischen Lungenklinik Berlin und Koautor der S1-Leitlinie „Post-COVID/Long-COVID“ hin.
Von einem Post-COVID-Syndrom wird laut WHO dann gesprochen, wenn drei Monate nach überstandener Erkrankung Beschwerden auftreten und sich keine andere Erklärung für die Symptomatik finden lässt.
Gab es Ende 2020 Vermutungen, dass 60 bis 70 Prozent der akut Erkrankten langandauernde Beschwerden haben könnten, geht man auf Grundlage von Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von etwa 5 Prozent der Patienten aus, die so stark beeinträchtigt sind, dass sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Wie viele Menschen im Zuge der Delta- und der Omikron-Welle tatsächlich betroffen sein werden, sei gegenwärtig noch nicht abzusehen, erklärte Gogoll. „Ich habe den Eindruck, dass mehr Long- als Post-COVID-Beschwerden auftreten.“ Dazu gehören etwa Denk- und Konzentrationsstörungen.
Die häufig berichteten andauernden Beschwerden seien offenbar teilweise auf einen Nocebo-Effekt zurückzuführen, sagte Gogoll. Patienten hätten sowohl in der Akutsituation als auch im weiteren Verlauf Angst vor schwerer Erkrankung, was sich auf die Selbsteinschätzung der Patienten auswirke.
Andererseits seien die KBV-Zahlen mit Vorsicht zu interpretieren, weil diese lediglich jene Patienten wiedergeben, die tatsächlich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben.
Post-/Long-COVID-Leitlinie wird aktualisiert
Gogoll kündigte für die kommenden Wochen eine Aktualisierung der Post-/Long-COVID-Leitlinie an, für die es auch eine Patientenversion gibt. Eingearbeitet werden gegenwärtig aktuelle Studien zu medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten. Die gute Nachsorge nach überstandener Erkrankung sowie die möglichst gezielte Rehabilitation sei von großer Bedeutung, so der Pneumologe.
Dabei sollte auf die gezielte Auswahl der Rehabilitationseinrichtung gemäß der individuellen Symptomatik geachtet werden. Es reiche nicht, wenn Zuweiser lediglich vermerkten, dass es um eine überstandene COVID-Erkrankung geht, sondern es müsse das konkrete Beschwerdebild benannt werden, zum Beispiel ob neuropsychiatrische Störungen bestehen, Dekonditionierungsprobleme oder Beschwerden nach Intensivbehandlung vorliegen.