Versorgung neu denken
Gesucht: Mehr Prävention, mehr Kooperation und neue Anreize
Wie kann eine Neujustierung des Gesundheitswesens gelingen, bei der Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen? Ein paar Ansatzpunkte auf unterschiedlichen Ebenen.
Veröffentlicht:Aus Sicht der Versorgerinnen und Versorger mangelt es der Medizin in Deutschland in erster Linie an Kommunikation und Kooperation. Hier gelte es, anzusetzen, sagte etwa Dr. Christine Reif-Leonard, Frankfurt/Main. Ein Werkzeug für bessere Kommunikation in Richtung Patientinnen und Patienten sind aus ihrer Sicht von Patienten berichtete Therapieergebnisse, so genannte patient-reported outcome measures (PROM). Durch Nutzung von (digital erhobenen) PROMs erhalte nicht nur die Kommunikation einen höheren Stellenwert. PROMs erleichterten auch eine partizipative Entscheidungsfindung und damit eine patientenzentrierte Versorgung, wie sie in Zeiten der Präzisionsmedizin immer wichtiger werde.
Kulturwandel in Richtung Prävention
Für Andrea Galle von der BKK VBU bietet unter anderem das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) Ansatzpunkte für mehr Patientenzentrierung: „Im GDNG sehe ich unglaublich viel Potenzial.“ Die Krankenkassenmanagerin denkt dabei unter anderem an den neuen § 25b SGB V, mit dem das GDNG den Krankenkassen mehr Möglichkeiten als bisher gibt, die Daten der eigenen Versicherten auszuwerten. Das sei umstritten, so Galle, aber sie sei stark dafür: „Als Krankenkassen haben wir kein Primärinteresse an den Daten, wir werden die nicht kommerziell verwenden.“
Stattdessen gehe es um „Gesunderhaltung“ und eine stärker präventive Ausrichtung des Gesundheitswesens: „Alles, was wir in dieser Richtung erreichen, wird dazu führen, dass wir Druck aus dem System herausnehmen.“ Der erweiterte Datenzugriff für Krankenkassen helfe, die Menschen besser zu beraten, sofern das auf Basis medizinischer Evidenz passiere. Galle sieht den § 25b SGB V als Teil eines Kulturwandels im Gesundheitswesen, der letztlich allen zugutekommen werde: „Die künftige Rolle der Krankenkassen wird eine andere sein als die, die wir heute haben.“
Neue ökonomische Anreize braucht das System
Klar ist allerdings auch, dass ein einzelner Paragraph nicht die Grundausrichtung des Gesundheitswesens ändern kann. So lange das deutsche Gesundheitswesen Anreize nicht für mehr Gesundheit, sondern für möglichst viele therapeutische Leistungen setzt, wird Personal fehlallokiert und es entsteht der Eindruck einer schädlichen Ökonomisierung der Medizin. Tatsächlich sei aber nicht „Ökonomisierung“ das Problem, betonte Denis Nößler von der Ärzte Zeitung, sondern eher „Gewinnmaximierung“.
Mit anderen Worten: Wer ernstmachen will mit Value-Based Healthcare, der sollte ökonomische Anreize so setzen, dass nicht die Zahl der erbrachten Leistungen, sondern „Gesundheit“ oder das Erreichen anderer patientenrelevanter Endpunkte belohnt werden. Davon, dass sich eine solche Neujustierung am Ende auch finanziell rechnen wird, sind viele überzeugt, auch Krankenkassenchefin Galle: „Wir können nicht immer nur Gesetze machen, in denen drinsteht: Darf´s noch ein bisschen mehr sein? Das Schlüsselwort ist Gesamtverantwortung.“