Kasuistik eines junges Mannes
AV-Block kam vom Holzbock
Die Beschwerden eines 37-Jährigen werden zunächst als grippaler Infekt gedeutet. Erst ein AV-Block lenkt den Verdacht auf die wahre Ursache – zu spät für den Patienten.
Veröffentlicht:Winnipeg. Anfang Juli sucht ein 37-jähriger Mann seinen Hausarzt auf, weil er sich matt fühlt und an Fieber, Halsschmerzen, nasaler Obstruktion und wandernden Gelenkschmerzen leidet. Bei diesem Besuch berichtet er auch über kreisförmige Erytheme, die Ende Juni aufgetreten und innerhalb einer Woche verblasst sind. An einen Zeckenstich kann er sich nicht erinnern, er deutet die Hauterscheinungen als Kratzer, die er sich beim Himbeerenpflücken zugezogen hat. Der Hausarzt vermutet einen viralen Infekt; die Symptome verschwinden bald spontan und der Patient fühlt sich zunächst wieder gesund.
Ende Juli stellt sich der Mann, bei dem keine kardiologischen Erkrankungen bekannt sind, in einer Klinik vor, diesmal mit Atemnot, Palpitationen und Brustschmerz bei Belastung. Er hat einen Puls von nur 42/min; das EKG zeigt einen vollständigen AV-Block. Die kontinuierliche Überwachung enthüllt eine vollständige AV-Überleitungsstörung im Wechsel mit Sinusrhythmus mit einem AV-Block ersten und zweiten Grades (2:1-Block).
Empirische Therapie mit Ceftriaxon i.v.
Wegen des AV-Blocks und der Vorgeschichte tippen die Ärzte auf eine Lyme-Karditis: Sie veranlassen eine Serologie und beginnen sofort eine empirische Therapie mit Ceftriaxon i.v.. Nur zwölf Stunden nach der Klinikaufnahme wird der Patient hypoton bei einer Herzfrequenz von nur noch 30/min und mit einem 2:1-Block zweiten Grades.
Bevor mit dem Pacing begonnen werden kann, entwickelt der Patient eine Kammertachykardie und trotz CPR und Defibrillation schließlich eine pulslose elektrische Aktivität und einen AV-Block dritten Grades. Es gelingt nicht, die Spontanzirkulation wiederherzustellen. Der Patient wird intubiert, eine ECMO begonnen und ein transkutaner Schrittmacher platziert. Sein Hirn ist allerdings durch den Sauerstoffmangel schwer geschädigt; eine Erholung wird als unwahrscheinlich angesehen. Familie und Ärzte entscheiden am nächsten Tag, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden.
Serologie bestätigt nachträglich den Verdacht
Die Serologie bestätigt nachträglich den Verdacht auf eine Infektion mit Borrelia burgdorferi. Passend zur Diagnose Lyme-Karditis offenbart die Autopsie eine Hämorrhagie ins Herzgewebe und eine interstitielle Infiltration von Lymphozyten; die PCR von kardialem Gewebe ist ebenfalls positiv für B. burgdorferi.
„Ärzte sollten bei Patienten mit AV-Block, insbesondere wenn sie sich in Borreliosegebieten im Freien aufgehalten haben, an das Risiko einer Lyme-Karditis denken – auch dann, wenn sich die Patienten nicht an einen Zeckenstich erinnern“, lautet die Botschaft der Ärzte um Milena Semproni von der Universität in Winnipeg, die den Fall im „Canadian Medical Association Journal“ vorstellen (CMAJ 2020; 192 (21): E574-E577).
Was ist zu tun?
Dazu sollten Ärzte nach einem Erythem in der Vorgeschichte, Zeckenexposition und Aufenthalt in Lyme-Endemiegebieten fragen. Bei entsprechendem Verdacht müsse sofort ein EKG angefertigt und eine antibiotische Therapie begonnen werden. Die Patienten sollten mindestens 24–48 Stunden telemetrisch überwacht werden, für den Fall einer Verschlechterung müsse ein transkutaner Schrittmacher verfügbar sein. Bei Lyme-Karditis-Patienten mit AV-Block bestehe immer die Gefahr einer raschen Progression der Überleitungsstörung und eines plötzlichen Herztodes.
Umgekehrt sollten Patienten mit Verdacht auf oder bestätigter Borreliose nach kardialen Symptomen wie Atemnot, Synkopen oder Thoraxschmerzen gefragt werden, so Semproni und Kollegen. Diesbezüglich asymptomatische Patienten raten sie, über die Möglichkeit und die Gefährlichkeit einer kardialen Beteiligung aufzuklären.