HINTERGRUND
Anabolika schädigten sogar Kinder von ehemaligen DDR-Athleten
Sportler, die Anabolika einnehmen, schädigen nicht nur sich selbst. Auch ihr Nachwuchs ist stark gefährdet. Die Kinder gedopter Athleten bilden eine eigene Gruppe von Opfern, wie die erste systematische Dokumentation von Krankheitsgeschichten zwangsgedopter DDR-Sportler nahelegt. Diese Erkenntnis müsse den Gesetzgeber alarmieren, sagen die Autoren der Studie. Schließlich gebe es auch immer mehr Freizeitsportler in Deutschland, die zu Anabolika und anderen Dopingsubstanzen greifen.
52 Krankheitsgeschichten von ohne ihr Wissen gedopten DDR-Leistungssportlern, die heute zwischen 40 und 60 Jahren alt sind, haben die selbst betroffene ehemalige Kugelstoßerin Birgit Boese und der Potsdamer Sportsoziologe Giselher Spitzer zusammengestellt (die "Ärzte Zeitung" berichtete).
Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Humboldt-Universität haben die Datensammlung mit etwa 120 000 Euro finanziert. 912 Seiten sind es geworden, gebündelt in acht Ordnern. Eine umfangreichere Dokumentation gebe es im ganzen ehemaligen Ostblock nicht, sind sich Boese und Spitzer sicher. Und: "Selbst in der Sowjetunion ist nicht so perfekt und industriell gedopt worden wie in der DDR", sagte Giselher Spitzer bei der Vorstellung der Daten in Berlin.
37 Kinder der DDR-Sportler sind mehrfach krank
Schon die perinatale Sterberate bei Kindern dieser Sportler sei auffällig, schreiben die Autoren: In der untersuchten Gruppe kam es bislang zu fünf Fehl- und drei Totgeburten. Das sind überdurchschnittlich viele: In Gesamtdeutschland liegt die perinatale Sterblichkeit bei fünf bis sechs Totgeburten auf 1000 Geburten, heißt es in einer 2003 von Calvin Tjong an der Berliner Charité vorgelegten Doktorarbeit.
Zudem sind die Kinder der Dopingopfer häufig mehrfach erkrankt. Von den insgesamt 69 Kindern der 52 Befragten leiden 37 an mindestens zwei Erkrankungen. 17 haben Allergien, Neurodermitis und verschiedene Stoffwechselerkrankungen. Sieben Kinder sind körperlich, vier sind geistig behindert.
Boese und Spitzer sagen selbst, daß die Gruppe von 24 Frauen und 28 Männern zu klein ist, um statistisch aussagekräftig zu sein. Boese hatte 600 Betroffene in der von ihr mit betreuten Beratungsstelle angesprochen, ob sie an einer Studie teilnehmen wollten. 60 sagten ihre Teilnahme zu. 52 Ergebnisse liegen nun vor. Der Gesundheitszustand der übrigen verschlechterte sich während der zweijährigen Studie derart, daß die Interviews nicht rechtzeitig autorisiert werden konnten. Einer starb an Krebs, bei einem weiteren wurde Krebs entdeckt, einer erlitt einen Schlaganfall, andere waren wegen Herzproblemen in stationärer Behandlung.
Um die Ergebnisse trotz der geringen Teilnehmerzahl in ihren Aussagen zu stärken, haben die Autoren auch die Familien der Befragten in die Studie einbezogen. Auf diese Weise können sie zumindest ausschließen, daß die dokumentierten Krankheitsbilder in den Familien der Befragten ohnehin häufiger auftraten. Das sind unter anderen Erkrankungen des Skeletts, der Bänder und der Muskeln, Bulimie, Vermännlichungserscheinungen und Depressionen. Ein Viertel der 52 Befragten litt unter Krebs oder leidet noch daran.
Derzeit wird um eine verschärfte Dopinggesetzgebung in Deutschland gerungen. Das Thema steht in den kommenden Wochen auf der Tagesordnung des Sportausschusses des Bundestages. Der Vorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbunds, Thomas Bach, lehnt die Strafbarkeit des Besitzes von Dopingmitteln ab. Kurios: Zwischenzeitlich argumentierte die DOSB-Spitze sogar damit, der Sportstandort Deutschland sei in Gefahr, wenn ausländische Athleten aus Sorge vor Strafverfolgung fernblieben. Dieser Passus soll nun aber aus einem Positionspapier des DOSB gestrichen sein.
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Entschädigung für Doping-Opfer
180 Doping-Opfer des DDR-Sportsystems sollen entschädigt werden. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete, sollen die Betroffenen einen Geldbetrag von je 9250 Euro erhalten. Diesen Betrag habe der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) den früheren DDR-Athleten in Aussicht gestellt. Mit dieser Einigung ende ein jahrelanger, auch vor Gericht ausgetragener Streit.
Insgesamt, so heißt es, belaufe sich die Entschädigungssumme auf 1,6 Millionen Euro, die sich der DOSB mit der Bundesregierung teile. Das Bundesinnenministerium habe dafür eine sogenannte "überplanmäßige Ausgabe" beim Finanzministerium beantragt. Die Entscheidung stehe aber noch aus, weshalb über die Höhe der Bundeszuschüsse noch nichts gesagt werden könne. (Smi)