„Mythos Blaulicht“

Augenschaden durch Bildschirmarbeit ist mehr Mythos als Realität

Ist viel PC-Arbeit schlecht für die Augen? Ophthalmologen geben Entwarnung: Auch bei einem Acht-Stunden-Tag am Computer nimmt unsere Netzhaut keinen Schaden. Und es ist nicht zu befürchten, dass alle Kinder im Zuge des Lockdowns kurzsichtig werden.

Dr. Bianca BachVon Dr. Bianca Bach Veröffentlicht:
Auch wer bei der Arbeit zwangsläufig den ganzen Tag am Computer sitzt, braucht wohl nicht befürchten, dass dies Netzhautschäden hervorruft.

Auch wer bei der Arbeit zwangsläufig den ganzen Tag am Computer sitzt, braucht wohl nicht befürchten, dass dies Netzhautschäden hervorruft.

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Heidelberg. Schadet der Blaulichtanteil, der von LED-Bildschirmen ausgeht, der Netzhaut? Brauchen unsere Kinder bald alle eine Brille, weil sie im Lockdown nicht nur stundenlang am Handy gedaddelt haben, sondern auch noch zum Online-Unterricht verdammt waren und dadurch kurzsichtig geworden sind? Augenärzte relativieren gleich zwei mediale Aufregerthemen.

Vom „Mythos Blaulicht“ sprach Professor Michael Bach, Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg, bei einer Pressekonferenz anlässlich des bevorstehenden Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Ophthalmologie (DOG).

Die oft zutreffende Regel „Die Dosis macht das Gift“ gilt auch hier: „Natürlich kann Licht schaden“, so Bach, „und zwar kurzwellige Anteile, also Blau oder Ultraviolett, mehr als Infrarot, weil kurzwelligeres Licht energiereicher ist“.

Bei normalen Nutzungsbedingungen kein Schaden

Auch Sonnenlicht enthält Blaulicht. Und die Natur hat es so eingerichtet, dass unsere Augen mit dem natürlichen Blaulicht zurechtkommen, „selbst auf dem Gletscher“. Smartphone- und Computerdisplays oder Wohnzimmerlampen sind nichts dagegen: „Die LED-Blaulichtanteile sind mindestens um den Faktor 100 schwächer als der Blauanteil selbst bei bedecktem Winterhimmel draußen“. Bei normalen Nutzungsbedingungen von Bildschirmmedien sei kein Schaden zu befürchten, so Bach.

In einen blauen Bühnenscheinwerfer würde er allerdings nie hineinschauen. „Die sind wirklich sehr hell.“ Vor allem die Werbung suggeriere, Blaulicht sei gefährlich. Eine entsprechend filternde Kindercomputerbrille etwa koste nur 7,78 Euro, sei aber trotzdem nicht nötig.

Beim „Blaulichtproblem“ werden zwei Aspekte vermischt

Oft würden beim „Blaulichtproblem“ zwei Aspekte vermischt, nämlich die theoretische Auslösung von Netzhautschäden mit einer möglichen Beeinträchtigung des Schlafs. Bach verwies auf „eine vielzitierte Studie“ (PNAS 2015; 112(4):1232-1237), nach der das Schlafverhalten „ein wenig beeinflusst wird“, wenn man vor dem Einschlafen auf einem lichtemittierenden eBook lese, anstatt aus einem normal beleuchteten herkömmlichen Buch.

Dass Licht vor dem Einschlafen über den Einfluss auf den Melatoninhaushalt eine Wirkung haben kann, zweifelt Bach nicht an. Es kommt aber vor allem auf die Helligkeit an. „Die haben das eBook mit voller Helligkeit betrieben [...] Das Vergleichsbuch in der Studie war 47-mal dunkler!“

Der Schluss, dass die vermeintlichen Schlafstörungen, bei denen es sich im Übrigen nur um Verschiebungen im Minutenbereich gehandelt habe, wesentlich auf den Blaulichtanteil beim Lesegerät zurückzuführen sind, hält der Neurobiophysiker für unzulässig. „Der simple Rat“: Wenn man vor dem Einschlafen liest, reguliert man die Helligkeit am Device herunter.

Computernutzung per se kein Risikofaktor für Kurzsichtigkeit

Auf Nachfrage gab Bach übrigens auch Entwarnung für jeden, der bei der Arbeit zwangsläufig den ganzen Tag am Computer sitzt. Auch da reiche die Dosis nicht aus, Netzhautschäden hervorzurufen. Nicht umsonst gebe es für den Arbeitsplatz gesetzliche Regelungen zur Expositionsstärke und -dauer. Und: „Man macht sich gar nicht klar, wie viel heller es draußen ist“ – laut Bach um den Faktor 1000 bis 100.000.

Professor Wolf Alexander Lagrèze, Leiter Kinderophthalmologie, Universitätsklinikum Freiburg, relativierte den Begriff der „Myopiepandemie“, die auch im Zusammenhang mit einer vermehrten Nutzung elektronischer Medien und aufgrund einer Studie mit 124.000 chinesischen Schulkindern populär geworden ist.

Computernutzung sei kein Risikofaktor für Kurzsichtigkeit

Der Lockdown mache Kinder nicht zu Brillenträgern. „In den letzten 15 Jahren sehen wir [in Deutschland] überhaupt keine Zunahme der Kurzsichtigkeit bei Kindern.“ Zwar wurde in der Studie aus China statistisch ein Visus-Unterschied in den Kohorten vor und nach dem weit strikteren Lockdown in China beobachtet. Dieser betrug aber nur 0,3 Dioptrien. Lagrèze: „Das ist so gut wie gar nichts. […] Deswegen würde sich kaum jemand eine neue Brille machen lassen.“

Die Computernutzung per se sei kein Risikofaktor für Kurzsichtigkeit, sagte er unter Verweis auf Daten aus Holland. Aber: „Die Zeit, die wir im Nahsichtbereich verbringen, insbesondere unter 30 cm, die ist ein signifikanter Risikofaktor.“ Und auch hierbei sei die Effektgröße weit geringer als der Einfluss der Genetik bei Kurzsichtigkeit der Eltern. „Durch Verhaltensveränderungen die Myopierate in einer Bevölkerung in Deutschland zu modifizieren, ist, glaube ich, nicht so möglich, wie wir das wünschen.“

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