Adipositas

Barmer GEK sieht Trend zur Op mit Sorge

Mehr adipöse Menschen - mehr bariatrische Operationen: Dieser Trend bereitet der Barmer GEK Sorgen, auch weil ihrer Ansicht nach zu oft operiert wird. Für mehr Qualität sollten bariatrische Eingriffe nur noch in zertifizierten Zentren vorgenommen werden.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Immer mehr krankhaft Fettleibige werden operiert. Zu oft?

Immer mehr krankhaft Fettleibige werden operiert. Zu oft?

© Waltraud Grubitzsch / dpa

BERLIN. Sieben Millionen Menschen wurden 2014 in Deutschland wegen krankhaftem Übergewicht behandelt. Das waren 16 Prozent mehr Adipositas-Patienten als 2006. Das Problem, vor dem sich inzwischen die Krankenkassen sehen: "Immer mehr werden operiert oder wollen sich operieren lassen", sagte Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK, bei der Präsentation des "Reports Krankenhaus 2016" in Berlin.

Zahl der Eingriffe versechsfacht

Die Anzahl der bariatrischen Eingriffe habe sich zwischen 2006 und 2014 bei den Versicherten der Barmer GEK mehr als versechsfacht auf 1070 Fälle. Alle Krankenkassen zusammengenommen verfünffachte sich die Zahl der Eingriffe.

"Noch sind die Zahlen gering, wir sehen aber einen deutlichen Trend. Und das macht uns Sorgen", so Straub. Durch die Adipositas-Chirurgie sieht die Kasse "massive Mehrkosten" auf sich zukommen, die am Ende die Beitragszahler schultern müssten.

 Bariatrische Eingriffe seien für Kliniken lukrativ, es bestehe daher die Tendenz zu immer mehr Eingriffen, heißt es in einer Pressemitteilung, die anlässlich der Vorstellung des Klinikreports verteilt wurde. Würden bundesweit alle Adipositas-Patienten mit einem Body-Mass-Index von 40 und mehr operiert, kämen auf die Krankenkassen kurzfristig Extraausgaben von 14,4 Milliarden Euro zu.

350 Krankenhäuser bieten in Deutschland bariatrische Operationen an, nur 44 seien aber von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie zertifiziert. Das führt nach Ansicht der Barmer GEK zu Qualitätsdefiziten.

Denn in den zertifizierten Zentren sei die Komplikationsrate geringer als in den herkömmlichen Krankenhäusern, auch das Sterberisiko sei um 15 Prozent reduziert, sagte Professor Boris Augurzky, Autor des Reports und Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit im Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Zudem seien die Operationen sowie die Folgebehandlungen nach fünf Jahren durchschnittlich um 3800 Euro günstiger als in nicht zertifizierten Kliniken.

Die Barmer GEK wolle deshalb jetzt die Weichen stellen für Qualitätsstandards. Christoph Straub forderte deshalb, Indikationen für bariatrische Eingriffe "vorsichtig" und interdisziplinär zu stellen. "Sie sind immer nur ultima ratio, wenn alle konservativen Methoden ausgeschöpft sind", so der Barmer-Chef.

Kritik an der Kritik: Kliniken reagieren auf Kassenvorwürfe

Die Operationen sollten zudem nur in zertifizierten Zentren vorgenommen werden. Außerdem müssten die Kliniken und die ambulanten Ärzte, hier vor allem die Hausärzte, wohnortnahe Nachsorgekonzepte entwickeln. Dazu gehöre freilich auch, dass sich noch mehr Kliniken als bisher als Zentren zertifizieren lassen.

Mit Kritik reagierte umgehend die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf den Krankenhaus-Report. Er zeige "einmal mehr als deutlich, dass die Krankenkassen immer wieder versuchen, den steigenden medizinischen Behandlungsbedarf der Bevölkerung in die Nähe von nicht notwendigen Leistungen der Kliniken zu rücken", so Hauptgeschäftsführer Georg Baum.

Es sei unredlich, aus dem Anstieg der bariatrischen Eingriffe abzuleiten, dass die Kliniken unnötige Operationen erbringen.

"Diese Statistiken, mit denen nachgewiesen werden soll, dass vermeintlich zu viel und sinnlos operiert wird, zeichnen ein schiefes Bild", so Baum. Richtig sei zwar, dass ein Anstieg der Operationen - bei geringer Fallzahl - zu verzeichnen sei. Das sei aber auch darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Adipositaskranken im Zeitraum 2003 bis 2013 um 22 Prozent angestiegen sei.

Zudem hielten sich die Krankenhäuser streng an die Leitlinien zur Adipositasbehandlung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sowie weiterer medizinischer Fachgesellschaften. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, dass die Barmer GEK ihre Ergebnisse als angeblichen Beleg für "lukrative" Eingriffe der Krankenhäuser heranziehe. "Für diesen Vorwurf gibt es keine Anhaltspunkte", sagte DKG-Chef Georg Baum.

Die Vergütungen würden jedes Jahr neu kalkuliert und zusammen mit den Krankenkassen vereinbart. Anstatt die Krankenhäuser pauschal zu diffamieren, "sollte die Barmer GEK vielmehr darüber nachdenken, ob nicht eine neue Sicht auf das Krankheitsbild Übergewicht und die Behandlungsmöglichkeiten erforderlich sind".

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Kommentare
Wolfgang P. Bayerl 28.07.201617:21 Uhr

was ich einfach nicht verstehen kann,

ist die Unfähigkeit einer Kasse ökonomische zu denken, wenns ans operieren geht.
Wer wirklich miterlebt hat, wie so ein Mensch nach einer solchen Op nicht nur kontinuierlich Gewicht verliert,
sondern auch wie durch ein Wunder der Diabetes und die Hypertonie ganz von selbst verschwindet,
nicht nur das, die Menschen werden wieder "gesellschaftsfähig", bekommen einen Job und zahlen Steuer,
der sollte nicht so den Mund aufreißen "wie kann man nur operieren".
DAS SPART GELD
vom menschlichen Aspekt ganz abgesehen.
Ich habe selbst sehr früh (nur endoskopisch) solche Eingriffe durchgeführt und betone daher nochmals, wie alle diese Leitlinien:
Das nackte Gewicht reicht nicht zur Indikation, auch wenn es das wichtigste Kriterium ist, sondern die Selektion betrifft auch eine hohe Kooperationsbereitschaft und natürlich den dringenden Wunsch des Patienten zu diesem Vorgehen. Das habe ich schon bei der ersten Patientin gelernt,
die zwar wunderbar abgenommen hat, auch Hypertonie und Diabetes war verschwunden,
aber nach ein oder 2 Jahren, es ist schon ca. 20 Jahre zurück, hatte Sie wirklich den dringenden Wunsch mit ihrer Freundin in Mallorca mindestens eine halbe Pizza am Stück essen zu können und hat mich fast erpresst, das Magenband wieder zu entfernen, sonst würde sie zu irgend einem anderen gehen der das macht.
Ich habe das gemacht, der einzige Fall bis heute.
Im nu hatte sie wieder ihr altes Gewicht, auch ihre Familie hat sie beschimpft, das weis ich vom Sohn, der auch sehr erfolgreich einen solchen Eingriff hinter sich hat. Jeder ist daher nicht dafür geeignet.

Herr @Karl-Otmar Stenger, Sie haben völlig recht!

Karlheinz Bayer 28.07.201613:16 Uhr

... und solche Krankenkassen "beraten" Patienten und nennen sich kompetent!


Die BEK/GEK hat sich in den letzten Jahren nicht nur als beitragsteuere Krankenkasse erwiesen, sondern auch als eine, die sich an vorderster Stelle als Berater-Kasse darstellen möchte.
Vielleicht wäre es eine beitragssenkende Maßnahme, wenn die GEK/BEK ihren So-Lebe-ich-gesund-Berater kündigen würde und sich auf das Kerngeschäft beschränke.

Fakt ist doch, daß es sich bei den bariatrischen Patienten ("baros" ist im übrigen griechsisch und heißt nichts anderes als "schwer") keineswegs um solche handelt, die sich operieren lassen "wollen". Vielmehr sind es Menschen, die angesichts ihres Gewichts die Notbremse zu ziehen, um weder psychisch noch körperlich kaputt zu gehen.

Und was Herrn Dr.med.Christoph Straub angeht, so ist er sicher kein Experte in Sachen Operationen, welche auch immer, sondern schlicht Vorstand der BEK/GEK ... und übrigens nebenbei auch Vorstand der Rhön-Kliniken - also etwa in demselben inneren Zerrissenheit, in der sich auch unsere BÄK-Vorstände rund um Montgomery befinden, die einen Nebenjob bei der PKV befinden, und es partout nicht wahrhaben wollen, stattdessen aber die Publikationsmedien benutzen, um sich ihr eigenes Süppchen zu kochen.

Die Suppe schmeckt gallig, Herr Straub!

Thomas Georg Schätzler 28.07.201608:59 Uhr

Realsatire oder Quatsch-Comedy-Club?

Da trafen sich wohl Pat und Patachon! Bei bariatrischen Operationen handle es sich um „schwere, nicht wieder rückgängig zu machende Operationen an einem eigentlich funktionierenden Körper“, erläuterte der medizinische Kollege und Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Dr. med. Christoph Straub. Doch stimmt das wirklich bei einem BMI von 45 bis 50 und höher? Stark erhöhte Multimorbidität und erhöhte Mortalität sind die Folgen.

Meine vor einigen Jahren Zentrums-operierte ("gastric sleave" - Prof. Bolder) und fachlich begleitete Patientin mit BMI 53+ hatte schon eine Odyssee hinter sich: Endokrinologie, Akutkliniken, REHA, Physio- und Psychotherapie, Ökotrophologie bei z. T. dramatischen Krankheitsentwicklungen. Sie macht heute wieder Luftsprünge, freut sich über bio-psycho-soziale, berufliche, familiäre und kulturelle Teilhabe.

Knie-, Hüft- und Schulter-TEP; 3- oder 4-fach ACVB, TAVI, Hernien-Chirurgie bzw. viele andere orthopädische und chirurgische OPs sind ebenfalls "schwere, nicht wieder rückgängig zu machende Operationen an einem eigentlich (noch ???) funktionierenden Körper“.

Gipfel ist Prof. Dr. Boris Augurzky, Jahrgang 1972, mit seiner öffentlichen Einlassung: "Nach einem bariatrischen Eingriff müssen Patienten häufiger wegen Gallensteinen, Krankheiten des Verdauungssystems und Eingeweidebrüchen ins Krankenhaus“. Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre und Mathematik (seit 2014 auch Geschäftsführer der Stiftung Münch) http://www.rwi-essen.de/augurzky
sollte er wissen, was verfügbare Studien belegen: Massive Gewichtsreduktion durch Crash-Diäten mit forciertem Abnehmen, selbst im undramatischen BMI-Bereich und in Eigenregie, führen in erster Linie zu Gallensteinen, Krankheiten des Verdauungssystems und Hernien.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Alle Zitate http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/69769

Wolfgang P. Bayerl 28.07.201608:50 Uhr

"immer mehr" ist grob irreführende GKV-Sprech

... da das Problem - auch ein ökonomisches GKV-Problem natürlich - nicht die Operation, sondern das krankhafte Übergewicht ist. Diese "ultima ratio" ist nun mal konkurrenzlos effektiv und wird viel zu selten genutzt, WEGEN der restriktiven "Genehmigung" durch diese GKV. Darauf darf man nicht noch stolz sein,
auch wenn Op-Kritik immer populistisch klingt.

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