Infektionswelle

Berlin kriegt Masern nicht in den Griff

Die Masernwelle in Berlin ebbt nicht ab: Pro Tag gibt es im Schnitt 15 Neuerkrankungen. Experten sind alarmiert. Sie befürchten eine rasante Ausbreitung in andere Regionen Deutschlands.

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Masernkrankes Kind: Fehlender Impfschutz ist in Deutschland ein drängendes Problem.

Masernkrankes Kind: Fehlender Impfschutz ist in Deutschland ein drängendes Problem.

© Prof. Dr. Dr. F.C. Sitzmann / DGK

BERLIN. Die große Masernwelle in der Hauptstadt bereitet Experten zunehmend Sorgen. "Es ist beängstigend, wie lange der Ausbruch auf diesem hohen Niveau anhält", sagte Professor Hartmut Hengel, wissenschaftlicher Beirat der AG Masern am Robert Koch-Institut zur Nachrichtenagentur "dpa".

Seit Oktober sind in der Hauptstadt 866 Menschen an Masern erkrankt, die meisten davon sind Erwachsene. Ein Kleinkind starb im Februar an den Folgen der Infektion.

Noch immer gibt es pro Tag rund 15 neue Meldungen. Ein Viertel der Patienten kam bisher ins Krankenhaus.

Defizite bei der hausärztlichen Versorgung?

Die Hauptgründe für den langen Ausbruch sieht der Experte in großen Impflücken bei jüngeren Erwachsenen. Eine Rolle spielten aber auch Defizite in der Gesundheitspolitik und bei hausärztlichen Versorgungsstrukturen.

"Wir haben keine Tradition bei Catch-up-Impfungen, mit denen man systematisch Impflücken schließt", kritisierte Hengel. "Vielleicht wird die Verantwortung für sich selbst und andere auch noch nicht ausreichend kommuniziert."

Hengel leitet an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität das Institut für Virologie. Die Masernwelle in der Hauptstadt wertet er als einen der größten deutschen Ausbrüche der vergangenen zehn Jahre.

"Das Virus findet in Berlin beständig empfängliche Menschen vor", sagte der Arzt. Nach einer Analyse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) ist bundesweit jeder fünfte 18- bis 29-Jährige und jeder zweite 30- bis 39-Jährige nicht gegen Masern geimpft.

In Berlin ergreifen die Gesundheitsbehörden nach Schulschließungen und Schulverboten für ungeimpfte Kinder inzwischen weitere Maßnahmen. Der Impfbeirat rief Eltern dazu auf, Babys schon mit neun Monaten impfen zu lassen - statt bisher in der Regel mit elf Monaten.

 An Erwachsene wird appelliert: "Auch wer ein Baby auf den Arm nimmt, muss gegen Masern geschützt sein".

Vater bringt Erreger von Geschäftsreise mit

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte rät Eltern in der Stadt zudem seit Wochen, nicht mit ihren Säuglingen in die Öffentlichkeit gehen. Die Ansteckungsgefahr sei zu hoch.

"Fehlender Impfschutz ist ein drängendes Problem", so Hengel. Es gehe auch immer um den Schutz von anderen und um die geplante Ausrottung der Masern.

In Berlin tritt jeder zehnte Masernfall bei einem Kind im ersten Lebensjahr auf, die Impfung ist aber erst ab dem neunten Monat möglich. Weltweit gibt es nach WHO-Angaben zudem jedes Jahr mehr als 100.000 Masern-Todesfälle.

Das wäre nicht nötig, wenn sich in allen Ländern genug Menschen impfen ließen.

Ein typisches Beispiel hat Hengel in Freiburg erlebt. Ein Familienvater war für einen Tag auf Geschäftsreise in Berlin. Er wusste nichts vom Masernausbruch - und auch nicht, dass er nicht geimpft war. Er infizierte sich und steckte dann andere Familienmitglieder an.

Alle Erwachsenen ohne Masernschutz sollten unbedingt eine Impfung bekommen, betont Hengel. Der Virologe hofft, dass Deutschland aus dem Berliner Ausbruch Lehren zieht und die Impflücken in allen Bevölkerungs- und Altersschichten schließt.

Einen Impfzwang hält er dabei allerdings für kontraproduktiv. (dpa/eis)

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